So heiß wie der Wuestenwind
Wahrheit doch noch nicht so mit dieser Hochzeit abgefunden hast, wie du den Anschein erwecken möchtest. Du fühlst dich wie in einer Falle, nicht wahr?“
Wie in einer Falle, das traf es sehr genau. In einer Ehe ohne Liebe, ohne Respekt. Ihr einziger Trost war, dass es nur auf Zeit sein würde. Wenn alles gut ging, würde Kamal schon in wenig mehr als neun Monaten sein Verhalten von damals wiederholen können und sie verstoßen.
Ein wirklicher Trost war das allerdings auch nicht, wenn sie bedachte, dass sie damals fast daran zerbrochen wäre.
Aliyah seufzte und stand instinktiv aufrechter, als sie in der Ferne Kamal aus dem mittleren Wagen steigen sah. Auch er entdeckte sie und warf ihr einen bösen Blick zu.
Aha, dachte sie, es passt ihm überhaupt nicht, dass er mich jetzt noch einmal gesehen hat, wenn auch nur aus der Entfernung. Das verstößt ja gegen die strengen Regeln! Denn es hieß: Wenn der Bräutigam die Braut in den fünf Tagen vor der Hochzeit erblickt, wird die Ehe daran kranken, dass die Eheleute nicht gut harmonieren und viel streiten.
Als ob das ihrer Zwangsehe noch etwas anhaben konnte! Die stand so oder so unter einem denkbar schlechten Stern.
Jetzt trat sie extra noch einen Schritt nach vorn, damit er sie noch besser sehen konnte. Na, das passt dir nicht, was, ya habibi ?
Er schäume vor Wut, das sah man sogar aus der Entfernung. Am liebsten wäre er wohl auf sie zugestürmt und hätte sie lautstark zurechtgewiesen, aber das durfte er ja nicht. Sie schnitt eine Grimasse und wandte sich wieder Anna zu.
„Oh weh“, murmelte Anna. „Das sah ja richtig gefährlich aus.“
„Da hast du schon mal einen kleinen Vorgeschmack auf Kamal.“
„Nein, ich meinte euch beide. Da haben ja richtig die Funken gesprüht … gefährliche Funken.“
Aliyah lachte auf und warf Kamal einen Seitenblick zu. Er stand immer noch da und wirkte wie die Statue eines zornigen Rachegottes.
„Diese Heirat ist für dich nicht nur eine verhasste Pflicht, oder?“, fragte Anna. „Einerseits bist du fest entschlossen, sie durchzuziehen, andererseits glaubst du, sie kann nicht funktionieren, und du hast Angst.“
Schlicht zusammengefasst, aber gar nicht so verkehrt. Noch einmal blickte sie zu Kamal hinüber, und sein Blick sprach Bände. Er würde sich an ihr rächen wollen für ihre Respektlosigkeit gegenüber den alten Sitten und Gebräuchen.
„Ein hoffnungsloser Fall“, sagte sie leichthin.
„Ich mag sie jetzt schon.“
Kamal funkelte Shehab böse an. Doch der grinste nur.
„Eine Frau, die keine Angst vor dir hat, die sogar noch frech eine Grimasse zieht, ist in meinen Augen in Ordnung.
Mehr als das. Sie ist eine Kostbarkeit, ein wahrer Schatz.“
Kamal überlegte, ob es in den Augen der Weltöffentlichkeit wohl den bevorstehenden Festlichkeiten abträglich wäre, wenn er jetzt auf seinen selbstgefälligen Bruder losging und sich kräftig mit ihm prügelte. Wäre es wohl schlimm, wenn sie bei den Feiern mit blauen Augen und gebrochener Nase erschienen?
Er schluckte seinen Zorn lieber hinunter und beschloss, ruhig zu bleiben. Er hatte sich schon genug von Aliyah reizen lassen.
Sie hatte sich ihm gezeigt. Nachdem er ihr ganz deutlich zu verstehen gegeben hatte, dass er das vor der Hochzeitszeremonie nicht wünschte. Er hatte das mit alten Bräuchen begründet, doch in Wahrheit wollte er sie nicht sehen, weil ihn das in der jetzigen Situation zu sehr aufregte.
Das hatte sich ja heute schon gezeigt. Und er musste sich jetzt einfach unter Kontrolle haben und brauchte seine ganze Konzentration.
Und Shehab, alf laa’nah alaih – verwünscht sollte er sein – versuchte ihn jetzt auch noch aus der Fassung zu bringen. Spöttisch sah er ihn an und sagte: „Sie schien genau zu wissen, wie sie dich aus der Reserve locken kann. Als ob sie dich genau kennt. Und deine Reaktion … b’Ellahi , das war zu köstlich.“
Kamal warf Shehab einen zornigen Blick zu und schaute dann noch einmal zu der Stelle hinüber, wo Aliyah bis vor Kurzem gestanden hatte. Vor seinem geistigen Auge sah er sie immer noch.
Er wandte sich um und blickte zum Palasttor, wo die Staatsflagge von Judar zum Gedenken an seinen Onkel König Zaher auf Halbmast hing. Die zukünftige Verantwortung lastete schwer auf seinen Schultern. Der Palast war nun sein Reich, seine Machtzentrale. Er ging die Stufen hinauf, und Shehab folgte ihm.
„Am liebsten hätte ich deine Reaktion auf Video aufgezeichnet, damit auch zukünftige Generationen noch
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