So hell wie der Mond
einer Frau.
Kate kletterte ein Stück hinab und genoß den salzig-frischen Wind. Wilde Gräser und Blumen hatten den Elementen getrotzt und sich durch karge Erde und schmale Spalten bis ans Tageslicht gekämpft. Weißbrüstige Möwen kreisten über ihr, deren Flügelspitzen golden in der Sonne schimmerten.
Das Wasser glitzerte, und weiter draußen ritt die strahlendweiße Gischt wie eine Herde edler Schimmel auf dem Meer. Die Musik verhallte nie. Ebbe und Flut, das Krachen und Donnern der Brandung an den Felsen, die gespenstischen, weiblichen Schreie der Möwen in der Luft. Wie oft war sie schon hier gewesen, wie oft schon hatte sie hier gesessen, geguckt und nachgedacht?
Manchmal kam sie einfach der Klippen wegen her, manchmal wegen der Einsamkeit, manchmal, weil es etwas zu ergründen galt. Während der ersten Jahre bei den Templetons hatte sie die Klippen hoch über dem Meer, unter dem endlosen Himmel aufgesucht, um lautlos um das zu trauern, was für immer verlorengegangen war. Und um gegen die Schuldgefühle anzukämpfen, die sie damals empfand, weil sie mit ihrem neuen Leben glücklich war.
Geträumt hatte sie nie, wollte das Träumen auf später verschieben. Statt dessen hatte sie in der Gegenwart gelebt, stets überlegt, welcher praktische Schritt auf ihrem Weg zum Ziel der nächste war.
Auch jetzt fragte sie sich, was nun drankam.
Sollte sie Josh anrufen und ihn mit der Vorbereitung der Klage gegen Bittie beauftragen? Am besten ja. So schwierig und möglicherweise gefährlich ein solches Vorgehen auch war, konnte sie nicht länger ignorieren, was man ihr zur Last legte. Sie war weder als Feigling geboren, noch hatte ihre Familie sie dazu gemacht. Es wurde höchste Zeit, dass sie sich mit dem Teil ihres Selbst beschäftigte, der sich ständig vor irgendeinem Versagen fürchtete.
In gewisser Hinsicht, dachte sie, hatte sie sich nicht anders als Seraphina verhalten – hatte sich lieber über den Rand der Klippen gestürzt, statt den Schicksalsschlag tapfer zu bewältigen.
Doch das war nun vorbei. Ein wenig spät, wie sie sich eingestand, aber hoffentlich gerade noch rechtzeitig, um das Richtige zu tun. Das, was einer Templeton entsprach, dachte sie und lächelte, während sie den unebenen, gewundenen Pfad weiter hinunterstieg. Onkel Tommy hatte immer gesagt, dass man keinen Dolchstoß in den Rücken bekommen konnte, solange man seinen Angreifern gegenüberstand.
Zuerst musste sie ihre Tante aufsuchen. Irgendwie war sie dafür verantwortlich, dass es zur Versöhnung kam. Kate blickte zurück, und obgleich sie sich zu tief unterhalb der Klippen befand, um Templeton House zu sehen, stellte sie es sich lebhaft vor.
Es war einfach immer da, groß und stark und heimelig. Das Haus bot ihnen allen steten Schutz. War es nicht für Margo dagewesen, als ihr Leben in tausend Scherben vor ihr lag? Für Laura und ihre Töchter, als sie die schwierigste Phase ihres Lebens durchmachten? Und auch für sie, erkannte Kate, als sie verloren und verängstigt und vor Trauer wie betäubt gewesen war. Genau wie jetzt.
Ja, sie würde das Richtige tun, dachte sie erneut – und sie gäbe nicht einfach kampflos auf. Endlich erinnerte sie sich daran, dass für sie eher ein anständiges lärmendes Gefecht in Frage kam als eine stille, vornehme Unterwerfung.
Sie lachte leise auf und holte tief Luft. Zum Teufel mit der Unterwerfung, dachte sie. Eine Ungerechtigkeit einfach hinzunehmen wäre ebenso feige wie der Sprung ins Meer. Der Verlust eines Jobs, eines Zieles, eines Mannes war nicht als Ende, sondern als Neuanfang zu sehen.
Byron De Witt war ebenfalls ein Neuanfang. Die Geduld dieses Kerls machte sie verrückt. Höchste Zeit, dass sie endlich tat, was ihr gefiel. Vielleicht fuhr sie später einfach hin und warf sich ihm begehrlich an den Hals.
Bei diesem Gedanken wurde ihr Lachen lauter. Wie er wohl reagieren würde, dachte sie, und kicherte. Was tat ein echter Südstaaten-Gentleman, wenn sich eine Frau auf ihn stürzte und ihm die Kleider vom Leib riß? Wäre es nicht faszinierend, das herauszufinden?
Er sollte sie halten, berühren, nehmen, erkannte sie, als das Gelächter in ihrem Bauch zu warmem, flüssigem Verlangen schmolz. Aber nicht nach irgendwem. Nach jemandem, der sie so ansah, wie er es tat: so tief, als sähe er Dinge, die zu erforschen sie bisher nicht mutig genug gewesen war.
Diese Unternehmung lockte sie, und obendrein wollte sie sich sehr gern mit einem Mann zusammentun, der genug Stärke besaß, auf
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