So hoch wie der Himmel
sagen, wie leid es mir tut, dass ich bis zu diesem Augenblick nichts von deinen schrecklichen Vermutungen wusste.«
»Es war merkwürdig – ich habe mich immer gefragt …« Wie sollte sie es nur ausdrücken, fragte sich Margo, während in ihrem Inneren eine Vielzahl von Gefühlen miteinander rang. »Du warst so jung«, setzte sie nochmals an. »In einem fremden Land, mit einem Kind, das du alleine großziehen musstest.«
»Eine Last hast du mir nie bedeutet, Margo. Eher eine Herausforderung«, fügte sie lächelnd hinzu »als eine Last. Ebensowenig kamst du als Fehltritt auf die Welt, um diese Frage vorwegzunehmen. Wir mussten heiraten, Margo, weil wir einander liebten. Mehr als man sich vorstellen kann. Wir waren beide furchtbar jung, und genau aus dieser süßen, verzweifelten, jungen Liebe entstandest du.«
»Oh, Mum, es tut mir so furchtbar leid.«
»Leid? In den vier Jahren, die Gott uns zugeteilt hat, hatte ich mehr, als eine weniger glückliche Frau in ihrem ganzen Leben bekommt.«
»Aber du hast ihn verloren.«
»Ja – genau wie du. Du hattest nicht viel Zeit mit ihm; aber er war ein guter Vater und, bei Gott, er hat dich von ganzem Herzen geliebt. Er hütete deinen Schlaf und hat dir immer nur mit den Fingerspitzen über das Gesicht gestrichen, als fürchte er, dich zu zerbrechen. Und dann hat er so breit gelächelt, dass man meinen konnte, es zerteilte ihm das Gesicht.« Sie hob eine Hand an ihren Mund, da sie ihn immer noch lächelnd vor sich sah. »Unerhört, dass ich dir das bisher nie erzählt habe.«
»Schon gut.« Ihre Brust wurde wieder freier, aber hinter ihren Augen stiegen Tränen auf. »Schon gut, Mum. Jetzt weiß ich es ja.«
Ann schlug den Blick nieder. Wie sollte sie erklären, dass sie die Trauer und Liebe und Freude sicher bis an ihr Lebensende mit sich herumschleppte? »Er hat uns beide so gern gehabt, Margo, und er war ein wunderbarer, freundlicher Mensch, voller Träume, in denen es um unsere und um die Zukunft der weiteren von uns ersehnten Kinder ging.« Sie zog ein Taschentuch hervor und wischte sich die Tränen ab. »Wie dumm von mir, jetzt noch darum zu weinen. Schließlich liegt das alles fünfundzwanzig Jahre zurück.«
»Du darfst ruhig weinen.« Für Margo waren diese Enthüllungen einfach wunderbar. Wenn ihre Mutter nach einem Viertel Jahrhundert immer noch Trauer um ihren toten Mann empfand, dann musste es tatsächlich Liebe gewesen sein, die sie mit ihm verband. Süß, verzweifelt und dauerhaft. »Wir brauchen nicht mehr darüber zu reden, wenn es zu schmerzlich für dich ist.«
Aber Ann schüttelte den Kopf und blinzelte ihre Tränen fort. Sie brächte die Sache zu einem Ende und gäbe ihrem Kind, Johnnys Kind, endlich das, was ihr von Geburt an zustand. »Als sie in jener Sturmnacht zurückkamen – herrje, es war ein Orkan, der Wind hat geheult und getobt, und am Himmel jagten sich die Blitze …« Sie schaute wieder auf. »Da wusste ich – ich wollte es nicht glauben, aber ich wusste, bevor sie es mir sagten, dass er verloren war. Denn etwas war fort. Hier drinnen.« Sie legte die Hand aufs Herz. »Einfach fort, und ich wusste, dass ein Teil von mir mit ihm gegangen war. Ich meinte, nicht überleben zu können ohne ihn. Irgendwie wollte ich nicht mehr ohne ihn!«
Ann verschränkte ihre Finger, da ihr nun der schmerzlichste Abschnitt bevorstand. »Ich war im dritten Monat schwanger mit einem zweiten Kind.«
»Du …« Margo wischte sich ebenfalls die Tränen aus dem Gesicht. »Du warst schwanger?«
»Ich wollte einen Sohn für Johnny. Er sagte, das wäre wunderbar, denn wir hätten bereits die schönste Tochter der Welt. An jenem Morgen hat er uns zum Abschied geküßt. Erst dich, dann mich, und dann hat er die Hand auf meinen Bauch gelegt, dorthin, wo das Baby wuchs. Und er hat gelächelt und gewunken. Sie haben ihn nicht gefunden, so konnte ich ihn nie mehr sehen. Ich bekam keine Gelegenheit, mich von ihm zu verabschieden. In dieser Nacht, in dem Sturm, in meiner Trauer, in meinem Schmerz habe ich das Baby verloren. Ich verlor Johnny und das Baby, da gab es nur noch dich.«
Wie hielt jemand eine solche Tragödie aus, ohne dass er daran zugrunde ging? fragte sich Margo jetzt. Wie stark musste jemand dazu sein? »Ich wünschte, all das hätte ich eher gewußt.« Sie nahm die Hände ihrer Mutter und sah sie an. »Wirklich, Mum! Dann hätte ich versucht … netter zu sein.«
»Nein, das ist Unsinn, was du da sagst.« Nach all den Jahren, erkannte Ann,
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