So kam der Mensch auf den Hund
fremde Wohnungen, in denen Hunde gehalten werden, mitnehme. Dies ist einfach ein Gebot menschlicher Rücksichtnahme. Nicht
nur deshalb, weil vielen Leuten Hunderaufereien auf die Nerven fallen – mir ja nicht, denn meine Hunde siegen meistens dabei –, sondern weil der Besuch eines fremden Hundes bei temperamentvollen Rüden ein nicht jeder Hausfrau willkommenes Verhalten
auslöst. Wie ich im Kapitel über ›Hundesitten‹ näher ausgeführt habe, hat nämlich das Beinheben neben anderen Funktionen auch
die, das eigene Territorium, den »Grundbesitz« zu bezeichnen. Diese Markierung des Eigentums, die dem Hunde innerhalb des
Hauses untersagt ist, wird hier von ihm
nicht
als unbedingt notwendig empfunden, da er seinen eigenen Duft, respektive den seiner mitwohnenden Art- und menschlichen Hausgenossen,
ohnedies in genügender Konzentration wahrnimmt. Wehe aber, wenn ein fremder Hund oder, noch schlimmer, ein ihm persönlich
bekannter und verhaßter |83| Feind auch nur ein einziges Mal durch das Haus gelaufen ist! In diesem Falle fühlt sich jeder einigermaßen lebhafte Rüde verpflichtet,
den ekelhaften Fremdgeruch durch eine. eigene kräftige Geruchsmarke zu überdecken. Zum Entsetzen des Besitzers läuft dann
der sonst so artige und verläßlich zimmerreine Hund durch die ganze Wohnung und hebt scham- und rücksichtslos an einem Möbelstück
nach dem anderen das Bein. Derlei mag also überlegt sein, ehe man mit seinem Hunde anderen Hunden Besuche macht.
Die erwähnte Friedfertigkeit des Hundes im eigenen Heim gilt also nur dem Beutetier, keineswegs dem Artgenossen. Es ist nicht
unmöglich, daß wir es hier mit einer im Tierreich weit verbreiteten Verhaltensweise, besser gesagt: Hemmung, zu tun haben.
So ist vom Habicht und von vielen anderen Raubvögeln bekannt, daß sie in der Nähe des Horstes überhaupt nicht jagen. Man hat
Ringeltaubennester mit erwachsenen Jungen unmittelbar neben Habichtshorsten gefunden, und es liegen verläßliche Berichte vor,
daß Brandenten (Tadorna tadorna L.) in bewohnten Fuchsbauten gebrütet und ihre Jungen ausgebracht haben. Auch Rehkitze sollen
in nächster Nähe von Wolfshöhlen unbelästigt aufwachsen. Ich glaube, daß es eben dieses uralte Gesetz des Burgfriedens ist,
welches unsere Hunde gegen verschiedene Tiere im Zimmer so friedfertig sein läßt.
Selbstverständlich ist die besprochene Hemmung, im eigenen Heim Beute zu machen, durchaus nicht absolut. Es bedarf vielmehr
eindringlicher Maßnahmen, um einem lebhaften und jagdlustigen Hunde klarzumachen, daß die Katze, der Dachs, der junge Feldhase,
die Wüstenspringmaus oder sonst ein Tier, mit dem er von nun an das Zimmer seines Herrn teilen soll, nicht nur nicht gefressen
werden darf, sondern völlig unverletzlich, tabu, mit einem Worte »pfui« sei. Als ich vor vielen Jahren mein erstes Katerchen,
namens Thomas, auspackte, kam Bully, einer der schärfsten Katzenjäger, in höchster Erwartung daher, ließ, was selten geschah,
sein eigenartig tiefes, heulendes Winseln hören, wedelte heftigst mit dem winzigen Schwanzstummel und war fest überzeugt, |84| ich hätte ihm das Katzenkind nur mitgebracht, um ihm die Freude des Totschüttelns zu gewähren. Seine Hoffnung war nicht unberechtigt,
da ich ihm schon mehrmals ausgediente Teddybären, Plüschkatzen und ähnliches mitgebracht hatte; seine drolligen Spiele mit
einer solchen Scheinbeute waren ungemein erheiternd. Dieses Kätzchen aber sollte nun »pfui« sein. Bully war maßlos enttäuscht.
Da Bully ein sehr gutartiger, liebevoller und gehorsamer Hund war, bestand wenig Gefahr, daß er, in Kenntnis meines Befehls,
der Katze etwas zuleide tun würde. Ich verwehrte es ihm daher nicht, als er sich ihr langsam näherte und sie eingehend beroch,
obwohl dabei sein ganzer Körper vor Jagderregung zitterte und das glatte, glänzende Fell über Nacken und Schultern jenen ominösen
mattschwarzen Fleck zeigte, der bei ihm eine gesträubte Mähne vertrat. Er tat der Katze nichts, aber von Zeit zu Zeit sah
er sich nach mir um, winselte in seinem tiefen Baß, wedelte und trampelte mit den vier Füßen auf der Stelle. Dies bedeutete
die an mich gerichtete Aufforderung, doch endlich das längst erwartete Jagd- und Totschüttelspiel mit diesem wundervollen
neuen Popanz zu beginnen. Als ich aber immer wieder und mit steigernder Emphase und erhobenem Finger »pfuiii« sagte, da warf
Bully einen Blick auf mich, als zweifle er an
Weitere Kostenlose Bücher