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So kam der Mensch auf den Hund

Titel: So kam der Mensch auf den Hund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Konrad Lorenz
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meiner geistigen Gesundheit, sah ein letztes Mal verächtlich und uninteressiert
     nach dem Katerchen, ließ die Ohren sinken, seufzte aus tiefer Brust, wie es nur ein Bulldogg kann, sprang auf das Sofa und
     rollte sich zusammen. Von Stund ab ignorierte er das Kätzchen vollständig; schon an jenem Tage war er lange Zeit mit dem neuen
     Zimmergenossen unbeaufsichtigt zusammen, wußte ich doch, daß ich mich auf den Hund verlassen konnte. Natürlich war sein Gelüst,
     das Katerchen totzuschütteln, nicht so schnell erloschen: Sooft ich mich mit dem Tier beschäftigte, vor allem, wenn ich es
     aufhob, fiel die Interesselosigkeit gleich einem Mantel von Bully ab, aufgeregt stürzte er herbei, wedelte wie rasend, trampelte,
     daß der Boden dröhnte, und sah gespannt und in freudiger Erwartung zu mir empor, als sei er sehr hungrig und ich hielte eine
     Schüssel |85| heißes und wohlriechendes Futter in der Hand. Schon damals hat mich die
Unschuld
in dem Gesicht des Hundes erschüttert, dessen Sinnen und Trachten auf das mitleidlose Töten des herzigen Katzenkindes gerichtet
     war. Da ich die Mimik des
bösen
Hundes und die Ausdrucksbewegungen seines Hasses bereits gut kannte, kam mir der schmerzliche und doch auch versöhnende Widerspruch
     zum Bewußtsein, daß ein Raubtier ohne Haß tötet. Es ist ja keineswegs
böse
auf das andere Lebewesen, das zu töten es sich anschickt. Das Beutetier ist für das Raubtier kein »Du«! Könnte man dem Löwen
     begreiflich machen, daß die Gazelle, die er jagt, eigentlich seine Schwester ist, könnte man den Fuchs überzeugen, daß der
     Hase sein Bruder ist, es würden beide erstaunt sein wie mancher Mensch staunt, sagt man ihm, daß sein Todfeind auch ein Mensch
     ist. Nur der kann töten, ohne schuldig zu werden, der nicht weiß, daß sein Opfer »auch einer« ist.
    Jack London schildert das »unschuldsvolle Gier-Gesicht« des Raubtieres sehr eindrucksvoll in einer arktischen Novelle. Der
     Held, der keine Patronen mehr hat, wird von einem Wolfsrudel verfolgt. Anfangs scheu, bedrängt es den von Schlaflosigkeit
     Erschöpften immer frecher und gefährlicher, je mehr es Gelegenheit hat, sich von seiner Machtlosigkeit zu überzeugen. Schließlich
     schläft der Mann, von Müdigkeit überwältigt, an seinem kleinen, mühsam genährten Feuer ein. Als er – zu seinem Glück – nach
     wenigen Minuten wieder erwacht, hat sich der Kreis der Wölfe um ihn verengt, er sieht die Gesichter der Raubtiere aus nächster
     Nähe, und plötzlich wird ihm bewußt, daß der bösartige, drohende Ausdruck aus ihren Mienen verschwunden ist: keine gerunzelten
     Nasen, böse zusammengekniffenen Augen, entblößten Eckzähne oder drohend flach niedergelegte Ohren mehr, kein Knurren, nur
     tiefe Stille und ein Kreis freundlich blickender, gespannter Hundegesichter mit aufgerichteten Ohren und weit geöffneten Augen.
     Erst als ein Wolf ungeduldig von einem Vorderfuß auf den anderen tritt und dabei rasch mit der Zunge über die Lippen leckt,
     wird dem Mann die schauerliche |86| Bedeutung der Ausdrucksänderung in den Wolfsgesichtern klar: Sie haben die Furcht vor ihm verloren, er ist in ihren Augen
     nicht mehr ein gefährlicher Feind, sondern nur noch eine appetitanregende Mahlzeit...
    Noch viele Wochen später hätte eine leise Aufforderung meinerseits genügt, den kleinen Bulldogg zur Tötung des Katers zu veranlassen.
     Ohne diese Erlaubnis aber war das Katzenkind nicht nur völlig sicher, sondern wurde sogar von Bully gegen jeden anderen Hund
     verteidigt; nicht weil er es liebte! In menschlichen Worten ausgedrückt würde seine Einstellung etwa so lauten: »Wenn nicht
     einmal
ich
in meiner eigenen Wohnung dieses verdammte Katzentier umbringen darf, dann darf es dieser oder jener hergelaufene Köter erst
     recht nicht!« Das Kätzchen hatte von Anfang an nicht die geringste Angst vor dem Hund bekundet, ein Zeichen übrigens, daß
     die Katze das Mienenspiel des Hundes keineswegs »instinktmäßig« versteht! Immer wieder versuchte es mit dem Hunde zu spielen:
     Es mimte etwa einen Überfall oder, was noch leichtsinniger war, trug ihm ein Verfolgungsspiel an, indem es neckisch auf ihn
     zusprang und sogleich wieder flüchtete. Seine ganze Selbstbeherrschung mußte mein braver Bully in solchen Fällen aufbringen,
     und ein Schauern verhaltener Leidenschaft durchzitterte jedesmal seinen Körper.
    Etliche Wochen später änderte Bully sein Verhalten gegen das Katerchen. Entweder schlugen die

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