So kam der Mensch auf den Hund
erfahrenen Menschen und einem
durch intensive gegenseitige Liebe ihm verbundenen Tiere ist unbedingte Voraussetzung, um die höchsten geistigen Leistungen
des Tieres gerecht beurteilen zu können. Es ist sicher verfrüht, den Hund mit dem Menschenaffen zu vergleichen, was nämlich
die hier erörterten Leistungen betrifft. Dennoch will ich mich zu einer Voraussage verleiten lassen: Ich glaube, daß der Hund
in der Fähigkeit, menschliche Sprache zu verstehen, selbst den großen Menschenaffen überlegen ist, sosehr ihn diese in gewissen
anderen Intelligenzleistungen übertreffen mögen. In einer bestimmten Hinsicht ist nämlich der Hund unbedingt
menschenähnlicher
als die klügsten Affen: Wie der Mensch ist nämlich auch er ein domestiziertes Wesen, und wie der Mensch verdankt auch er der
Domestikation zwei konstitutive Eigenschaften: erstens das
Freiwerden
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von den starren Bahnen
des instinktiven Verhaltens, das ihm, gleich dem Menschen, neue Handlungsmöglichkeiten eröffnet, zweitens aber jene
Verjugendlichung,
welche bei ihm die Wurzel seiner dauernden Liebesbedürftigkeit ist, dem Menschen aber die jugendliche Weltoffenheit erhält,
derentwegen er bis in das hohe Alter ein Werdender bleibt.
|116| Verpflichtung
Ich besaß einst ein wundervolles Büchlein, das völlig verrückte Humoresken enthielt. Es hieß ›Snowshoe Al’s Bettime Stories‹
und barg hinter der Maske des blühendsten und tollsten Unsinns jene scharfe und etwas grausame Satire, die dem amerikanischen
Humor sein besonderes Gepräge verleiht und vielen Europäern nicht leicht verständlich ist. In einer dieser Geschichten erzählt
»Snowshoe Al« romantischrührselig von den Heldentaten seines besten Freundes. Beweise unglaublichen Mutes, übertriebener Mannhaftigkeit
und vollkommener Selbstlosigkeit werden zu einer komischen Persiflage westamerikanischer Romantik aneinandergereiht und gipfeln
in den Szenen, in welchen der Held seinem Gefährten, der von Wölfen, Grizzlybären, Hunger, Kälte und von etlichen anderen
Gefahren bedroht ist, in rührendster Weise das Leben rettet. Dann schließt die Geschichte mit dem kurzen Satz: »Dabei aber
erfror er sich beide Füße so stark, daß ich ihn leider erschießen mußte.«
Daran muß ich oft denken, wenn mir jemand von den Eigenschaften und Taten seines treuen Hundes erzählt. Fragt man dann, ob
der Betreffende das Tier noch habe, bekommt man nur zu häufig die wunderliche Antwort: »Nein, ich mußte ihn weggeben, weil
ich in eine andere Stadt übersiedelte... in eine kleinere Wohnung zog... eine Anstellung bekam, in der es mir schwer fiel,
einen Hund zu halten...« Das Erstaunlichste daran ist, daß auch viele sonst moralisch durchaus einwandfreie Menschen offensichtlich
keine Scham empfinden, ein derartiges Verhalten einzugestehen. Sie haben einfach keinen Sinn dafür, daß zwischen ihrem Benehmen
und dem in jener Humoreske gegeißelten nicht der geringste Unterschied besteht. Das Tier ist eben
rechtlos,
nicht nur nach dem Buchstaben des Gesetzes, sondern auch nach dem Gefühl vieler Menschen.
|117| Die Treue eines Hundes ist ein kostbares Geschenk, das nicht minder bindende moralische Verpflichtungen auferlegt als die
Freundschaft eines Menschen. Der Bund mit einem treuen Hunde ist so »ewig«, wie Bindungen zwischen Lebewesen dieser Erde überhaupt
sein können. Dies mag jeder bedenken, der sich einen Hund anschafft. Allerdings kann es auch geschehen, daß man, ohne es zu
wollen, die Herrentreue eines Hundes erwirbt. So lernte ich auf einer Skitour einen Hannoveraner Schweißhund namens Hirschmann
kennen. Er war damals etwa ein Jahr alt und der Typus des herrenlosen Hundes. Denn sein Besitzer, der Oberförster, liebte
ungemein seinen alten Rauhhaarrüden und hatte für den jungen Tolpatsch, der vielleicht zur Jagd wirklich nicht recht geeignet
war, wenig Zuneigung. Hirschmann war sehr weich und sensitiv, seinem Herrn gegenüber auch ein wenig handscheu, welcher Umstand
nicht sehr für die erzieherischen Fähigkeiten des Försters sprach. Anderseits rechnete ich es dem Tier durchaus nicht als
ein Zeichen guten Charakters an, daß es uns schon am zweiten Tage unseres Aufenthaltes auf eine längere Skitour begleitete.
Ich hielt den Hund für einen »Kalfakter«, sehr zu Unrecht übrigens, denn es stellte sich bald heraus, daß er nicht
uns,
sondern
mir
nachlief. Als ich ihn dann eines Morgens schlafend vor der Tür meines Zimmers fand,
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