So kam der Mensch auf den Hund
begann ich zurückhaltender zu werden,
da ich ahnte, daß hier eine große Hundeliebe zu keimen begann.
Doch es war schon zu spät: Der Treueid war geleistet. Bei der Abreise wurde die Tragödie offenbar. Als ich ihn einfangen wollte,
um ihn daran zu hindern, uns wieder nachzulaufen, verweigerte Hirschmann den Gehorsam. Mit eingezogenem Schwanze und zitternd
vor Erregung stand er in sicherer Entfernung, und seine bernsteingelben Augen sagten: »Alles kannst du mir befehlen, nur nicht,
daß ich von dir lassen soll!« Ich kapitulierte. »Herr Oberförster, was kostet der Hund?« Der Oberförster, von dessen Standpunkt
aus gesehen Hirschmanns Verhalten reine Desertion war, antwortete, ohne sich eine Sekunde zu besinnen: »Zehn Schilling.« Es |118| klang wie ein Schimpfwort und war auch so gemeint. Ehe er sich eines Besseren besinnen konnte, hatte er das Geld in der Hand,
und klappernd setzten sich drei Paar Skier und zwei Paar Hundepfoten in Bewegung.
Ich wußte, Hirschmann würde mir folgen, nahm aber fälschlicherweise an, daß er zunächst noch voll schlechten Gewissens in
großer Entfernung hinter uns herschleichen würde, befangen im Glauben, dies eigentlich nicht zu dürfen. Es kam aber anders:
Wie eine Kanonenkugel traf mich der Ansprung des wuchtigen Rüden, und hart schlug mein Hüftknochen auf das Eis der Straße,
denn die Standfestigkeit eines Skifahrers gegen einen seitlich anspringenden großen Hund ist nur gering. Hirschmann aber vollführte
einen Freudentanz auf meiner hingestreckten Leiche. Ich hatte seine Situationseinsicht ausgesprochen unterschätzt.
Die Verpflichtung, die einem aus der Treue seines Hundes erwächst, habe ich immer sehr ernst genommen, und ich bin stolz darauf,
daß ich einmal, um einen Hund zu retten, ernstlich in Lebensgefahr geriet, als ich bei minus achtundzwanzig Grad, wenn auch
unfreiwillig, in die Donau stürzte! Mein Schäferhund Bingo war auf dem Randeise des Stromes dahingelaufen, ausgerutscht und
in das Wasser gefallen. Da seine Krallen auf dem Eisrande keinen Halt fanden, konnte er nicht heraus. Erfahrungsgemäß erschöpfen
sich Hunde bei dem Versuch, ein unersteigbares Ufer zu erklimmen, erstaunlich rasch. Sie geraten in eine ungünstige, immer
steiler werdende Schwimmlage und kommen sehr schnell in ernste Ertrinkungsgefahr. Ich lief daher dem treibenden Hunde einige
Meter stromabwärts voraus, legte mich nieder und kroch bäuchlings, um das Gewicht möglichst zu verteilen, auf das Randeis
hinaus. Als der Hund in meine Reichweite kam, ergriff ich ihn am Nacken und zog ihn mit einem Ruck zu mir auf das Eis. Dieses
brach jedoch unter unserem Gewicht, und ich glitt lautlos mit dem Kopf voran in das kalte Wasser. Dem Hunde, der im Gegensatz
zu mir mit dem Kopf uferwärts stand, gelang es, auf festeres Eis zu kommen. Nun war die Lage umgekehrt: Bingo rannte aufgeregt
und voll |119| einsichtiger Besorgnis winselnd das Randeis entlang, und ich trieb im Strom. Da jedoch die Menschenhand für das Klettern auf
glatter Unterlage weit besser geeignet ist als die Krallenpfote des Hundes, entkam ich aus eigener Kraft dem Verhängnis: Ich
spürte Grund unter den Füßen, schnellte mich ab und warf mich mit dem Oberkörper auf das Randeis...
Die Moral befreundeter Menschen werden wir füglich danach beurteilen, welcher von ihnen das größere Opfer zu bringen bereit
ist, ohne dabei an eine Gegenleistung zu denken. Nietzsche, bei dem – anders als bei den meisten Menschen – die Bestialität
nur Maske ist, hinter der sich echte Herzensgüte verbirgt, sagte das schöne Wort: »Es sei dein Ehrgeiz, immer
mehr
zu lieben als der andere, nie der Zweite zu sein!«
Menschen
gegenüber kann es mir unter Umständen gelingen, dieses Gebot zu erfüllen, im Freundschaftsbunde mit meinem treuen Hunde dagegen
bin ich immer der »Zweite«. Welch merkwürdige, ja einmalige soziale Beziehung! Hat man schon einmal bedacht, wie verwunderlich
dies alles ist? Der Mensch, das Vernunftwesen mit seiner hohen, verantwortlichen Moral, der Mensch, dessen schönstes und edelstes
Glaubensbekenntnis die Religion der Bruderliebe ist, steht gerade in der Fähigkeit zu reinster Bruderliebe einem –
Raubtiere
nach! Ich weiß genau, was ich sage, ich mache mich dabei sicher keiner sentimentalen Vermenschlichung schuldig. Auch die edelste
Menschenliebe quillt nämlich nicht aus dem Verstande und der spezifisch menschlichen vernunftmäßigen Moral, sondern aus
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