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So kam der Mensch auf den Hund

Titel: So kam der Mensch auf den Hund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Konrad Lorenz
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viel
     tieferen, uralten, rein gefühlsmäßigen, und dies heißt immer soviel wie instinktmäßigen, Schichten. Auch das einwandfreieste
     und selbstloseste moralische Verhalten verliert für unser Empfinden jeglichen Wert, wenn es nicht solchen Gründen, sondern
     dem Verstande entspringt: »Doch wirst du nie Herz zu Herzen schaffen, wenn’s dir nicht selbst vom Herzen geht.« Gerade dieses
     Herz aber ist beim Menschen auch heute noch das gleiche geblieben wie bei höheren sozialen Tieren, so sternweit sich auch
     die Leistungen seines Verstandes und |120| damit auch seiner vernunftmäßigen Moral über die höchsten Tiere erhoben haben mögen.
    Die schlichte Tatsache, daß mein Hund mich mehr liebt als ich ihn, ist einfach nicht wegzuleugnen und erfüllt mich immer mit
     einer gewissen Beschämung. Der Hund ist jederzeit bereit, für mich sein Leben zu lassen. Hätte mich ein Löwe oder ein Tiger
     bedroht – Ali, Bully, Tito, Stasi und wie sie alle heißen, sie alle hätten ohne einen Augenblick zu zögern den aussichtslosen
     Kampf aufgenommen, um mein Leben auch nur für einige Sekunden zu schützen. Und ich?

|121| Hundstage
    Mögen die Hundstage der Herkunft ihres Namens nach mit den Griechen und mit dem Sirius verknüpft sein, ich nehme sie wörtlich.
     Wenn man nämlich die geistige Arbeit »bis daher hat«, wenn einem Gescheitreden und Höflichkeit meterweit zum Halse hinaushängen,
     wenn einen beim Anblick einer Schreibmaschine ein unwiderstehlicher Ekel überkommt, welche Symptome gegen Ende eines Sommersemesters
     aufzutreten pflegen, dann komme ich auf den Hund, oder besser gesagt, »auf das Tier«. Ich ziehe mich von der Gesellschaft
     der Menschen zurück und suche die der Tiere auf, und zwar deshalb, weil ich kaum einen Menschen kenne, der geistig faul genug
     ist, um mir in dieser Stimmung Gesellschaft zu leisten. Ich habe die unschätzbare Gabe, bei hohem Wohlbefinden meine höheren
     Denkprozesse völlig abstellen zu können; dies ist die unbedingte Voraussetzung dafür, daß einem wirklich so wohl ist wie Goethes
     sprichwörtlich gewordenen fünfhundert Säuen. Wenn ich an einem heißen Sommertage über die Donau schwimme und dann, tief in
     den Auen, an einem verträumten Arm des großen Stromes wie ein Krokodil im Schlamm liege, in einer Urlandschaft, in der nicht
     das geringste Anzeichen auf die Existenz menschlicher Zivilisation deutet, gelingt es mir manchmal, ein Wunder zu vollbringen,
     das die größten orientalischen Weisen als höchstes Ziel anstreben: Ohne daß ich etwa einschliefe, löst sich mein Denken in
     der umgebenden Natur auf, die Zeit steht still, sie bedeutet nichts mehr, und wenn die Sonne sinkt, die Abendkühle zur Heimkehr
     mahnt, weiß ich nicht, ob Sekunden oder Jahre vergangen sind. Dieses animalische Nirwana ist das beste Gegengewicht gegen
     geistige Arbeit, ein wahrer Balsam für die vielen wundgeriebenen Stellen an der Seele des abgehetzten modernen Menschen.
    |122| Am leichtesten gelingt mir diese heilende Einkehr in das vormenschliche Paradies in Gesellschaft eines Wesens, das seiner
     noch von Rechts wegen teilhaftig ist – in der eines Hundes. Es sind also ganz bestimmte Gründe, derentwegen ich einen Hund
     brauche, welcher mich treu begleitet, der aussieht wie ein wildes Tier, der die wilde Landschaft nicht durch sein zivilisiertes
     Aussehen verdirbt...
    Gestern früh war es schon am dämmernden Morgen so heiß, daß Arbeit – geistige Arbeit – hoffnungslos schien, ein gottgewollter
     Donautag zog herauf.
    Ich trete mit Käscher und Transportkanne bewaffnet aus meinem Zimmer, denn von jedem Ausflug an die Donau bringe ich abends
     lebendes Futter für meine Fische heim. Wie immer sind die Geräte für Susi ein untrügliches Zeichen, daß ein Hundstag, ein
     glücklicher Hundetag winkt. Sie ist überzeugt, daß ich eine solche Donau-Expedition nur ihretwegen unternehme, und hat damit
     nicht so unrecht. Sie weiß, daß sie nicht nur mitgehen »darf«, sondern daß ich größten Wert auf ihre Gesellschaft lege. Trotzdem
     drängt sie sich vorsichtshalber zwischen meinen Beinen zum Hoftor hinaus, um nur ja nicht zurückgelassen zu werden. Dann trottet
     sie mit hocherhobener, buschiger Rute vor mir her, die Dorfstraße entlang, tänzelnden und übertrieben elastischen Schrittes,
     muß sie doch allen Hunden des Dorfes zeigen, daß sie vor ihnen auch dann keine Angst hat, wenn Wolf II. nicht in der Nähe
     ist. Mit dem fürchterlich häßlichen

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