Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
So muss die Welt enden

So muss die Welt enden

Titel: So muss die Welt enden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Morrow
Vom Netzwerk:
Abschreckungspotential. Die Abschreckung liegt in der Fähigkeit zur Wiederaufrüstung.«
    In Richterin Jeffersons Stirn kerbten sich tiefe Furchen. »Das klingt für uns nach einer ziemlich läppischen Abschreckung, Mister Seevogel.«
    »Das ist gar keine Abschreckung«, sagte Richter Yoshinobu.
    Der Zeuge hob die Hände zu einer Zurückweisungsgebärde. »Beim Einstein-Sechs-Abkommen hätte jede Seite eingebunkerte, militärisch gut gesicherte Fabriken zum Zwecke der Produktion neuer Waffenarsenale für den Fall beibehalten dürfen, daß die Gegenseite den Vertrag bricht. Wenn ich mich recht entsinne, hätte die reguläre Zeitvorgabe für die Produktion von achtzig Sprengköpfen plus geeigneter Marschflugkörper-Trägersysteme vier Wochen betragen.«
    »Die Russen hätten also unsere Städte ausgelöscht«, fragte Bonenfant im Tonfall eines Jugendlichen, der sich mit seinem naiven kleinen Bruder unterhält, »und sich danach vier Wochen lang hingehockt, um Wodka zu trinken, bis Sie genug wiederaufgerüstet hätten, um einen Gegenschlag zu führen?«
    »Dank der Unbewaffneten Abschreckung hätten die Russen erst gar nicht angegriffen. Angesichts der Raumforts, der Zivilschutzpläne, der Gefahr einer Vertragsuntreue der Gegenseite, des begrenzten Umfangs eines etwaigen russischen Geheimarsenals und Amerikas eventueller Vergeltungsschlagskapazität hätten sie vor zu vielen Unwägbarkeiten gestanden.«
    »Für mich hört sich das genau wie die alte Patt-Situation an«, sagte Richter Woiziechowski.
    »Es wäre eine neue Art von Patt gewesen. Sie hätte den Vorteil gehabt, nicht am Rande des Abgrunds entlangzuwanken.«
    »Ihre Abrüstungsstrategie wäre eigentlich nur eine Methode gewesen«, fragte Richterin Jefferson, »um Zeit herauszuschinden, oder nicht?«
    »Zeit«, wiederholte Seevogel leise. »Die gute, alte Zeit«, seufzte er gedämpft.
    »Es wäre das gleiche wie die Politik meiner Mandanten gewesen«, behauptete Bonenfant. »Keine weiteren Fragen.«
    Richterin Jefferson nahm ihre Walbeinbrille ab und blickte geradeaus in die verwaschene Helle des Gerichtssaals. Ihr Blick ruckte, bewegt durch erregte Gedanken, hin und her.
    »Ist das mit der Atomwaffenabschaffung wirklich wahr?« fragte George.
    »Das ist ’n Riesenhaufen Scheiße«, war Henkers Antwort.
    »Er hat sich das alles bloß ausgedacht«, vermutete Wengernook.
    »In der Heiligen Schrift«, stellte Sparren klar, »steht darüber nichts.«
    »Verdammt noch mal, wäre mir ein Budget in Höhe des Portokassenbestands des Pentagon bewilligt worden«, knotterte Overwhite, »hätte ich auch ein paar Wunder tun können.«
    *
    OBERSTAATSANWALT VERNIMMT MORGEN LETZTEN ZEUGEN, machte der Mount Christchurch bekannt.
    *
    Nach Aufrufung seines Namens kam Jared Seldin, ein kleiner, schmaler Junge, bei dessen Haar man unwillkürlich an eine futuristische Weizensorte denken mußte, in den Gerichtssaal. Als er die Bibel nahm, um vereidigt zu werden, riß ihr Gewicht ihn beinahe zu Boden. Das Gesicht des Zeugen glänzte dunkel wie poliertes Eichenholz. Sein Alter gab er mit acht Jahren an.
    Acht Jahre, dachte George. Zu alt, um noch an den Weihnachtsmann zu glauben, alt genug, um Fahrrad zu fahren.
    Aquinas näherte sich dem Zeugenstand mit einer Umsichtigkeit, als ob er versuchte, ein scheues Rehkitz zu beobachten. »In welchem Jahrhundert wärst du geboren worden, Jared?«
    »Moment mal… 2134… Im 23. Jahrhundert wär’s gewesen.«
    »Und wo hättest du gewohnt?«
    »Habitat Sieben.«
    »Ist das ein Land?«
    »Ein was?«
    »Ein Land.«
    »Was is ’n Land?« fragte der Junge.
    »Das ist schwer zu erklären… Wie würdest du denn Habitat Sieben beschreiben?«
    »Eben als so ’n Asteroiden, glaub ich, innen ganz hohl, und mit ’m Staustrahlantrieb. Er hätt fast Lichtgeschwindigkeit erreichen können, vorn war nämlich so ’n großer Trichter gewesen, der Wasserstoffatome aufsaugt und in ’n Fusionsantrieb geschickt hätt, und hinten wärn die Atome rausgesaust, wusch! Wir hätten vorgehabt, zu ’m Stern zu fliegen.«
    »Welchem Stern?«
    »Hab ich vergessen. Er hat ’n Planeten.«
    »Hat es dir in Habitat Sieben, soweit du dich entsinnen kannst, denn gefallen?«
    »Dort wär’s viel schöner als in der Antarktis gewesen.«
    »Ja, Jared, das glaube ich dir gern.«
    »Ich hätt ’n junges Hündchen gehabt. Es hätt Ralf geheißen. Warum muß alles so traurig sein, Mister Aquinas?«
    »Ich weiß es nicht, Jared. Sag mal, hätten die Bewohner Habitats Sieben

Weitere Kostenlose Bücher