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So muss die Welt enden

So muss die Welt enden

Titel: So muss die Welt enden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Morrow
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bestand auf unserer Seite eine ernste Lücke«, entgegnete Henker. »Deshalb haben wir die Omega-Raketen benötigt.«
    »Wollen Sie damit sagen, daß die Triade mangelhaft durchdacht war und Amerika statt dessen die russische Strategie hätte nachahmen sollen?«
    »Nein, ich sage damit, daß die Russen mehr landgestützte Interkontinentalraketen als wir hatten. Warum ist das so schwer zu begreifen?«
    »Und Sie haben wirklich befürchtet, die Russen könnten mit Ihren eingebunkerten Interkontinentalraketen ein atomares Pearl Harbor veranstalten?«
    »Diese Möglichkeit stand zwar weit am unteren Ende der Wahrscheinlichkeit, aber wir hatten trotzdem deswegen Sorge.«
    »Und vor dem Omega-Programm hätten die Russen erwarten können, unter Umständen mit einem derartigen Überraschungsangriff Erfolg zu haben?«
    »Sehr richtig.«
    »Und dann hätten Sie kapitulieren müssen?«
    Henker schluckte seinen Ärger hinunter. »Ja.«
    »Wieso?« fragte Aquinas.
    »Wir wären entwaffnet gewesen.«
    »Hätte der amerikanische Präsident nicht beide verbliebenen Beine der Abschreckung benutzen können, um auch die Russen zu entwaffnen?«
    »Denken Sie doch mal logisch. Hätten die SS Sechzig eingeschlagen, wären ihre Abschußbunker leer gewesen.«
    »Sie wären also zur Kapitulation gezwungen gewesen?«
    »Ja.«
    »Inwiefern?«
    »Das habe ich doch eben erklärt. Wir hätten keine Fernraketen mehr gehabt.«
    »Die Russen genausowenig, nachdem sie sie verschossen hätten. Das haben Sie eben auch gesagt.«
    »Wahrscheinlich wäre eine Reserve zurückbehalten worden«, erwiderte Henker.
    »Dann hätten Sie doch einen Vergeltungsschlag führen können«, entgegnete Aquinas.
    »Nein. Der Gegner hätte seine Raketenreserve unserem Gegenschlag entzogen.«
    »Wie das?«
    »Indem er sie gestartet hätte.«
    »So daß Sie hätten kapitulieren müssen?«
    »Ja!«
    »Warum?«
    »Wie oft muß ich’s denn noch wiederholen?« Henker brach einen Eisbrocken aus dem Zeugenstand und zermalmte ihn. »Weil wir entwaffnet gewesen wären. Können Sie denn nicht die elementarsten Prinzipien strategischen Denkens kapieren?«
    »Nehmen wir einmal an, der Präsident hätte, statt zu kapitulieren, der strategischen U-Boot-Flotte befohlen, die russische Nation auszuradieren?«
    »Kein Präsident hätte einen chirurgischen Schlag mit einem Großangriff beantwortet. Das wäre auf der Eskalationsskala ein viel zu großer Sprung nach oben gewesen.«
    »Wie viele amerikanische Zivilisten wären bei so einem ›chirurgischen‹ Schlag ums Leben gekommen?«
    »Nach dem Schlimmstfall-Szenario fünfundzwanzig Millionen.«
    »Hätte der Präsident ein solches Gemetzel nicht mit einem Großangriff verwechseln können?«
    »Nicht wenn er die Bereitschaft gehabt hätte, sich einmal einen Moment der Ruhe zu nehmen und anzuschauen, wie diese Verluste verursacht worden wären.«
    Auf diese Weise streckte die Befragung sich noch über eine Stunde lang hin; zwischendurch gab es nur eine kurze Pause für einen Imbiß aus gekochten Pinguineiern und Walspeckstullen. »Waren die Omega-Raketen«, fragte Aquinas schließlich unvermittelt, »nicht in Wirklichkeit Erstschlagswaffen, Generalmajor Tarmac?«
    »Nein«, sagte Henker.
    »Was sind sie denn gewesen?«
    »Sie waren ein funktionales und glaubhaftes Zweitschlag-Vergeltungs-Waffensystem zur Abschreckung.«
    »Ein todsicheres Waffensystem?«
    »Ein funktionales, glaubhaftes…«
    »Ich verzichte auf weitere Fragen«, brummte der Oberstaatsanwalt und schlurfte mit vom Überdruß hervorgerufenen, krampfartigen Zuckungen vom Zeugenstand zurück zu seinem Tisch.
    Henker stand auf, verschränkte die Arme auf der Brust. Er sah aus, als hätte das Kreuzverhör ihn zwanzig Pfund seines Lebendgewichts gekostet. Er wankte zur Anklagebank. »Na«, fragte er, »wie war ich?«
    »Dafür hätten Sie ’n Preis verdient«, sagte Wengernook.
    »Ich hoffe, ich schneide halb so gut ab«, sagte Randstable, bot sich selbst Schach.
    »Ich wußte gar nicht«, räumte George ein, »daß Streitkräfte, die nicht siegen können, niemanden abschrecken.«
    Overwhite mußte als nächster in den Zeugenstand. Die Öllampen warfen bronzefarbene Tupfer auf seinen schneeigen Bart, während er seine Lebensgeschichte erzählte, seine Tätigkeit beim Auswärtigen Amt, im Diplomatischen Korps, im Außenministerium und zuletzt der Abrüstungs- und Rüstungsbegrenzungsbehörde schilderte. Es änderte sich nichts daran, daß George ihn für einen Windbeutel hielt,

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