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So muss die Welt enden

So muss die Welt enden

Titel: So muss die Welt enden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Morrow
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dem Zeugen die Kehle zu.
    Das nachfolgende Schweigen währte lang und war zutiefst beklommen. Georges Schußwunde pochte. Er konnte an nichts anderes als Holly denken, wie sie durch Viktor Seevogels Haus stapfte und das Sternenbanner schwang. Er sah sie vor sich, wie sie mit Stevie übermütig-albern umhertanzte.
    Jetzt sind wir erledigt, nicht wahr? fragten seine Spermatiden. Nicht wenn ein Geierexperte eingreift, antwortete er ihnen.
    »Ich habe keine Fragen mehr«, erklärte Aquinas langsam und mit gewichtiger Betonung.
    Und da kam er endlich: der Applaus. Er durchdonnerte den Zuschauerraum und erschütterte die Panzerglasumwandung der Anklagebank. Overwhite preßte sich die in warme ARES-Montur-Handschuhe gehüllten Hände auf die Ohren. Als der Tumult schließlich verebbte, stellte Richterin Jefferson es Bonenfant frei, den Zeugen seinerseits zu vernehmen.
    »Dieser Atomwaffen-Abschaffungsvorschlag«, beanstandete Overwhite die Darlegungen Seevogels, indem er die Hände von den Ohren nahm, »hat jede Menge Haken und Ösen.«
    »Wenn Bonenfant was taugt«, sagte Wengernook, »zerpflückt er ihn von vorn bis hinten.«
    »Erinnern Sie sich daran, daß man in den zwanziger Jahren mal den Alkoholgenuß verbieten wollte?« fragte Henker. »Das gab ’n Riesenreinfall.«
    George mußte sich eingestehen, daß das alles seine Spermatiden stark verwirrte.
    »Mister Seevogel«, sagte Bonenfant und ging zum Frontalangriff über, »letzten Endes sehe ich in Ihrem Einstein-Sechs-Abkommen keinerlei Nutzen. Wie alle solchen utopischen Spinnereien beruhen sie auf der Voraussetzung des Vertrauens zu einem Land, das bei seiner Raketenstationierung auf Kuba gelogen, ein wehrloses koreanisches Passagierflugzeug abgeschossen hat… Die Liste ließe sich beliebig verlängern.«
    »Na, vor der Abschaffung der Atomwaffen haben die Zustände auf der Welt allen Beteiligten auch einiges an Vertrauensbereitschaft abverlangt, meinen Sie nicht?« hielt Seevogel ihm entgegen. »Jeden Tag haben die Angeklagten dort darauf vertraut, daß die Russen keinen Präventivschlag führen. Sie haben darauf vertraut, daß die Russen mängelfreies Startgerät und fehlerfreie Abschußanlagen bauen… Utopisch? Also, ich würd’s nicht so nennen, vor allem nicht, wenn ich an die vielen völlig neuen Verhandlungen denke, die wir angeknüpft hätten. Es wäre eine internationaler Ständiger Beschwerdeausschuß für Einstein-Sechs-Verstöße gegründet worden, und es wäre keine Woche ohne Bezichtigungen der einen oder anderen Seite verstrichen.«
    »Folglich geben Sie zu, die ganze Sache wäre zuletzt gescheitert?«
    »Wir wären der Auffassung gewesen, daß der schlimmste Zustand die festgefahrene vorherige Situation sei, in der man sich vor fünfzigtausend Atombomben nur durch gegenseitige Einschüchterung und Glück schützen konnte. Vizepräsidentin Mutter Maria Catherine hätte uns davon überzeugt, daß Atomwaffen das große Übel des zwanzigsten Jahrhunderts gewesen sind, so wie das neunzehnte Jahrhundert als größtes Übel die Sklaverei kannte. Die Atomwaffen mußten verschwinden.«
    »Das ist doch pures Hirngespinst. Die Menschen hätten immer gewußt, wie man Atomwaffen baut.«
    »Die Menschen haben auch immer gewußt, wie man sich Sklaven verschafft.«
    »Rußland hatte ein ausgedehntes Territorium. Was wäre geworden, hätten die Russen vor der Ratifizierung des Einstein-Sechs-Vertrags ein paar Hundert Atombomben versteckt? Oder einmal angenommen, sie hätten im geheimen ein Trägersystem entwickelt, durch das es ihnen möglich geworden wäre, die Raumforts zu knacken? Dann hätten sie Amerika aus heiterem Himmel plätten können.«
    »Ja, aber sie wären ein schreckliches Risiko eingegangen.«
    »Ich erkenne keine Risiken.«
    »Beim Einstein-Sechs-Abkommen wäre die Abschreckung gültig geblieben.«
    Demonstrativ machte Bonenfant eine augenfällige Schau daraus, ein Grinsen zu verbergen. »Abschreckung? Ohne Waffen?«
    Abschreckung? dachte George. Ohne Waffen?
    »Ja. Tatsächlich wäre genau das sogar unser Terminus dafür gewesen: Unbewaffnete Abschreckung.«
    »Jetzt sind wir wirklich in einem Wolkenkuckucksheim gelandet.«
    »Es ist so. Eines Tages hätten wir uns überlegt: Besteht nicht ein erheblicher Unterschied zwischen einer Nation, die nie Atommacht gewesen ist, und einer Nation, die einmal Atommacht war, aber abgerüstet hat? Und die Antwort hätte gelautet: Doch, so ein Unterschied besteht. Die abgerüstete Nation hat noch ein

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