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So muss die Welt enden

So muss die Welt enden

Titel: So muss die Welt enden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Morrow
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Rosehaven hatten das Desaster bestens überstanden. Zwar war die Mehrzahl aus dem Erdreich entwurzelt worden, aber George entdeckte keine Kerben oder Risse. Für ihn war der Friedhof eine vertraute Umgebung. Ein Aufenthaltsort, an dem er sich jederzeit zurechtfand. Granit ist wirklich, dachte er, für die Ewigkeit geschaffen.
    Auf dem Friedhofsgelände niedergestreckte, tote Wildgrover bedeckten viele Grabstätten, als erflehten sie Zugang in die Gräber. Zur Linken Georges lag der Grabstein der alten Mrs. Mulligan, Modell Nr. 2115 in Oklahomaer Rosa. Er erinnerte sich noch daran, wie er ihn mit RUHE IN DEN ARMEN DES HERRN JESU CHRIST beschriftet hatte; rechts Georges das Grabmal für Louis und Barbara Prescott: IN LIEBREICHEM ANDENKEN EURE KINDER stand auf dem Stein. (In Wahrheit hatte ihre Tochter Kathy das Grabmal allein errichten lassen; ihr mißratener Sohn Kevin hatte wenig mit seinen Eltern zu tun haben wollen, solange sie lebten, und noch weniger nach ihrem Tod.) Das Explosionsbeben hatte vom einen bis zum anderen Ende des Friedhofs Rosehaven eine Erdspalte geöffnet. In deren Tiefe waren mehrere vor langem beigesetzte Wildgrover gerutscht; im wesentlichen sah man von ihnen nur Knochen. Das blieb der gesamte ersichtliche Umfang der Wiederauferstehung.
    George wandte sich nordwärts, in die Richtung des Postamts, doch undurchdringliche Schleier aus Qualm und Staub behinderten seine Sicht. Er sah das Postamt trotzdem, sah es in Gedanken vor sich, und hinter dem Postgebäude den See, und am Ufer des Sees sein Häuschen, und in dem Häuschen sah er Justine und Holly die Koffer packen, die Haustiere füttern und auf Papi warten. Er mußte nur hin. Indem er rasch die goldgelbe Montur kurz an sich preßte, setzte er sich in Bewegung.
    *
    Der bequemste Heimweg führte George über kilometerweit schwarzen Erdboden und direkt in einen Krater. Mit aller Vorsicht kletterte er die matschige Kraterwand hinab, aus der gekappte Kabel und gebrochene Rohre lugten wie halbierte Regenwürmer in einem frisch ausgehobenen Grab. Tausende von durch Radioisotope vergifteten, infolge Blutverlusts entkräfteten, desorientierten Flüchtlinge hatte beim Durchqueren des Trichters der Tod ereilt. George mußte durch ein Tüpfelmuster aus weißgekleideten Leichen staksen.
    Das Detonationszentrum. Asche, Gestank, tote Flüchtlinge und ein anderer Überlebender. Bis auf das Koppel, ein paar Schnipsel der ARES-Montur und den wie ein zerplatztes Klarplastikei irreparabel geborstenen, verzogenen Helm war der Mann nackt. Systematisch tappte er durch den Schutt. Da und dort kniete er nieder, zurrte an der Montur eines Leichnams den Reißverschluß auf, besah sich das tote Fleisch darin mit geradezu wissenschaftlicher Neugier. Während George sich ihm näherte, erkannte er den Überlebenden, der soeben eine Kinderleiche untersuchte.
    »Tz-tz«, stieß der Überlebende hervor. »Tz-tz-tz.«
    Der Atomschlag hatte John Frostigs gutes Aussehen beeinträchtigt. Seine Nase war in der Hauptsache und ein Ohr vollständig fort. Seine Stirn glich einem Pfuhl aus Schweiß und Blut.
    »John?«
    »Tachchen, mein alter Spezi-Spezi.« Angesichts des Irrlichterns in Johns Augen und der Kicherlaute, die seine Worte durchgackerten, hätte Theophilus Cater im Vergleich zu ihm so vernunftbetont wie ein Mathematiklehrer gewirkt. »Sieht ganz so aus, als stünden wir hier vor einem Problem mangelnder Qualität, hm? Natürlich ist’s noch zu früh, um zu ermitteln, wie die additiven Strahlungsdosen absorbiert werden, solang der Fallout noch runterschneit, aber es ist offensichtlich, daß wir die Hitzeabschirmung und den Druckschutz um mindestens zwanzig Prozent aufstocken sollten, um aller mindestens zwanzig Prozent, meinst du nicht? All diese vielen Löcher im Stoff… Schlicht und einfach miserable Verarbeitung. Die Dummköpfe in der Produktkontrolle werden von mir was zu hören kriegen, das darfst du mir glauben, die sollen hören, was ich dazu zu sagen habe. Alice, Lance und Gary werden ihnen auch die Meinung sagen… Scheiße, George, hast du schon mal so viele Tote gesehen? Da wird mir richtig mulmig, ich geb’s ehrlich zu. Gary wird denen auch die Meinung sagen. Und Lance und Gary und… und…« Nun vergoß der ARES-Monturen-Händler, der vermutlich nicht mehr geweint hatte, seit der Arzt ihm einen Klaps auf den Po verpaßt hatte, um seine Lungen in Betrieb zu setzen, Ströme lange angestauter Tränen.
    »Irgendwo hier im Umkreis ist doch dein Laden gewesen,

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