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So muss die Welt enden

So muss die Welt enden

Titel: So muss die Welt enden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Morrow
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wir Sie in den kommenden Wochen wiederholt bitten werden, ist die außerordentlich hohe Unwahrscheinlichkeit, die der kürzlich stattgefundenen Ausrottung der Menschheit beizumessen gewesen ist.« Seine Stimme ertönte jetzt kräftiger, er meisterte die Betonung reibungslos und klangvoll. »Wenn ich, da ich weniger redegewandt als Mister Aquinas bin, einen etwas groben Vergleich ziehen darf: Die Wahrscheinlichkeit, daß der Krieg den bekannten Verlauf nahm und ein so bedauerliches Resultat hatte, war ungefähr so groß wie die, daß eine Frau, die Verhütungspillen nimmt, durch ihren zeugungsunfähigen Geliebten schwanger wird.«
    Von den vier Mitgliedern des Hohen Gerichts wirkte nur Theresa Gioberti pikiert. Die drei anderen unterdrückten ein Schmunzeln.
    Eine unwahrscheinlich gewesene Ausrottung war es, dachte George. Das ist, überlegte er sich, ein schwerwiegender Einwand.
    »Die zweite Tatsache ist, daß meine Mandanten weit davon entfernt waren, den Dritten Weltkrieg austragen zu wollen, sondern vielmehr ihr berufliches Wirken seiner Verhinderung gewidmet hatten. Werfen Sie einen Blick auf die Anklagebank. Dort sehen Sie keine Kriegstreiber, sondern Patrioten. Wenn diese Männer schuldig sind, Hohes Gericht, dann beschränkt ihr Verbrechen sich auf einen Anklagepunkt, der weder in der Anklageschrift noch der McMurdo-Konvention genannt ist, den Anklagepunkt ›Friedensliebe‹.«
    »Er ist gut«, kommentierte Wengernook.
    »Sogar sehr gut«, bekräftigte Henker.
    »Anscheinend wird das Spiel nicht unbedingt mit gezinkten Karten gespielt«, äußerte Randstable.
    »Damit kommen wir zur dritten Tatsache«, sagte Bonenfant. »Der Gefährdung des Friedens. Unmittelbar bevor Mister Aquinas mit seinem Vortrag anfing, habe ich mit meinen beiden Mitarbeitern gewettet, daß er ihn beenden würde, ohne das kommunistische russische Imperium beim Namen zu nennen. Und er hat es wirklich vermieden. Zweimal hat er das Wort ›Sowjetunion‹ gebraucht, einmal das Wort ›Feinde‹. Hohes Gericht, ist Ihnen bekannt, daß das kommunistische Imperium der Vergangenheit die gewaltigste militärische Rüstung aller Zeiten betrieb?« Das glänzend-glatte Haar des Verteidigers schien jetzt ein Eigenleben zu führen, es sträubte sich himmelwärts, hüpfte ihm in die Stirn. »Wissen Sie, welche Nation es gewagt hat, buchstäblich sämtliche je unterzeichneten Rüstungsbegrenzungsabkommen zu hintergehen? Im Interesse einer Kollektivierung der Landwirtschaft Millionen eigener Bürger hingemordet hat? In Südostasien verbotene chemische und biologische Waffen einsetzte? Mehr Juden verfolgte, als irgendwer nach Adolf Hitler? Die eigenen Pazifisten und Dissidenten laufend in Psychiatrien steckte?«
    In Georges Vorstellung waren alle Blutgalgen dahingeschmolzen. Guter Gott, dachte er, das ist ein Argument. Wir sind wirklich schuldlos.
    »Seit der Oktoberrevolution fraß der Krebs des russischen Kommunismus unablässig um sich und verschlang Land um Land. Aserbeidschan, Armenien, die Ukraine, Estland, Lettland, Litauen, Polen, Rumänien, Ostdeutschland, Ungarn, die Tschechoslowakei. Ich will zur Illustrierung Einzelheiten nennen. Erstens: 1983 wurde in Prag ein Lebensmittelladenangestellter wegen Besitzes eines unangemeldeten Vervielfältigungsapparats zu fünf Jahren Zwangsarbeit verurteilt. Zuverlässige Beobachter haben berichtet, daß die sowjetische Armee im Rahmen ihrer Terrorisierungskampagne in Afghanistan aus der Luft Spielzeug für die kleinen Jungen und Mädchen der Stämme in die Dörfer abwarf. Jedes Spielzeug war mit Sprengstoff gefüllt, der explodierte, wenn man es aufhob, so daß es in vielen Fällen einem Kind den Arm abriß…«
    Bonenfant zählte hundert weitere Einzelheiten auf. Ein bodenloser Abgrund der Tücke und der Greuel schien den eiskalten Nachmittag zu verdrängen. Immer wenn George blinzelte, sah er vor sich ein kleines afghanisches Mädchen, das eine Puppe aufhob. Er konnte sich nicht soweit durchringen, sich auch die Explosion vorzustellen.
    »Warum befinden sich in diesem Gerichtssaal keine russischen Angeklagten? Wo ist der russische Präsident? Wo ist der russische Verteidigungsminister? Wo der Außenminister? Ihre Abwesenheit spricht Bände. Die Wortklauber der McMurdo-Sund-Konvention haben gewußt, daß es keinen Sinn hätte, Russen vors Tribunal zu stellen, so unübersehbar fest stand Moskaus Schuld an der Verwandlung der Welt in eine Waffenkammer und der Störung des Friedens, von dem hingegen meine

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