Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
So muss die Welt enden

So muss die Welt enden

Titel: So muss die Welt enden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Morrow
Vom Netzwerk:
Abgrund der Ausrottung zerrten? Selbstverständlich konnten sie es absehen. Aber die Oberhäupter der Atommächte waren nicht dem Menschengeschlecht verantwortlich, sondern lediglich ihren jeweiligen, eigenständigen Staaten. Wie hätten sie den Verlust von soviel für nichts erklären sollen? Die Vernichtung einiger Städte dagegen galt nicht als Grund zum Einhalten, sondern als Anlaß, auch den Rest aufs Spiel zu setzen.«
    Aquinas schritt zum Tisch der Staatsanwaltschaft zurück und nahm ein Exemplar der McMurdo-Sund-Konvention zur Hand.
    »Also hat man die wichtigsten Angriffsoptionen in die Tat umgesetzt«, sagte er in sachlichem Ton. »Also folgte die Welt dem Weg in die Hölle, den Robert Wengernook, Brian Overwhite, Generalmajor Roger Tarmac, Dr. William Randstable, Pastor Kiefer Sparren und George Paxton hartnäckig vorgezeichnet hatten.«
    Die Finger des Staatsanwalts strichen über die Stacheldrahtbindung der McMurdo-Sund-Konvention. Am Zeigefinger erschien eine Perle schwarzen Bluts. Während er ihn über den Einband des Dokuments bewegte, bemalte er es mit einem blutigen Kreuz.
    »Stünde ich vor der alles andere als beneidenswerten Aufgabe, diese sechs Männer verteidigen zu müssen, würde ich vielleicht einwenden, sie hätten keine Wahl gehabt. Ihre Gegner häuften Waffen über Waffen an, und man könnte anführen, sie hätten nur die Möglichkeit gehabt, ebenso zu handeln. Aber das ist ein Scheinargument. Es bestand eine Aussicht, den Planeten von der Atomkriegsgefahr zu befreien. Nicht durch die Gründung einer Weltregierung, oder indem man das Himmelreich auf die Erde verlegte, sondern durch diplomatische Maßnahmen, die vollauf im Rahmen der Kenntnisse und Fähigkeiten der Angeklagten lagen. Während der weiteren Darlegungen der Anklage wird das Hohe Gericht Einzelheiten über diese gangbar gewesene Lösung erfahren. Das Belastende der gegen diese Männer erhobenen Anklagen ist in der vorsätzlichen Weigerung zu erblicken, diese Alternative überhaupt in Betracht zu ziehen. Kurzum, die Staatsanwaltschaft wird verbrecherische Fahrlässigkeit eines Maßstabs nachweisen, den es auf der Welt noch nicht gegeben hat – und nie wieder geben wird.«
    Aquinas nahm Platz; seine Mitarbeiter schüttelten ihm die Hand.
    Obwohl Georges ärgste Befürchtung – daß im Gerichtssaal donnernder Applaus ausbräche – sich nicht bewahrheitete, sah er bei den Zuhörern fast ausschließlich Lächeln der Zufriedenheit auf den Gesichtern. Viele Anwesende, darunter mehrere Mount-Christchurch- Berichterstatter, vollführten wenigstens eine Pantomime des Beifallklatschens. Eine junge Frau, die eindeutig einer Vielzahl romantischer Phantasien hinsichtlich Aquinas’ nachhing, zitterte vor sich hin und weinte.
    »Der Kerl ist ein Waschlappen«, sagte Henker.
    »Diplomatische Maßnahmen, pah!« höhnte Overwhite.
    »Bestimmt legt er der Guten Fee einen Zettel auf den Nachttisch, wenn er Zahnschmerzen hat«, spottete Wengernook.
    »Ich habe nie im Leben einen Weg zur Hölle gezeichnet«, sagte George.
    »Das Hohe Gericht begibt sich in die Mittagspause«, rief Richterin Jefferson.
    *
    ANTRAG AUF VERFAHRENSEINSTELLUNG ABGELEHNT stand an den Steilhängen des Mount Christchurch. AUFWÜHLENDE ANKLAGE DES OBERSTAATSANWALTS.
    *
    Martin Bonenfant näherte sich langsam dem Richtertisch. Man hätte seine Schritte als eine Art wandernden Rorschach-Test interpretieren können. Alles ließ sich hineindeuten, was man wollte: Hinter einer Fassade der Zuversicht verborgene Sorge, hinter einer Fassade der Besorgnis verstecktes Selbstvertrauen, Optimismus und Beunruhigung in dynamischem Gleichgewicht.
    »Hohes Gericht, Bürger Antarktikas, Freunde!« Bonenfants Worte drangen zögerlich aus zu einem nur andeutungsweisen Lächeln verzogenen Lippen hervor. »Heute vormittag hat die Staatsanwaltschaft uns einen Vortrag in der Sprache der Leidenschaft gehalten. Ich kann diese Vorgehensweise nicht kritisieren, denn Nuklearwaffen sind eine Erfindung, die unmöglich andere Gefühle als Entsetzen hervorrufen dürfen. Der Urteilsspruch, der am Ende dieses Gerichtsverfahrens stehen muß, wird jedoch kein Urteil über den Atomkrieg sein, sondern über eine Politik, die das Ziel hatte, den Atomkrieg abzuwenden, aktiv zu begrenzen und seine Folgen zu lindern. Der zur Verhandlung stehende Fall darf nicht auf der Grundlage von Gefühlen, sondern muß anhand von Tatsachen entschieden werden. Die erste Tatsache, die in ihrem vollen Umfang zu berücksichtigen

Weitere Kostenlose Bücher