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So nah am Leben

So nah am Leben

Titel: So nah am Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inaqiawa
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hübschen Terrasse. Samantha hat die Straße im Blick und kann den Pilgerstrom vorbeiziehen sehen. Manche von ihnen machen eine kurze Pause und gehen dann wieder weiter. Einige der Pilger hat sie bereits am Kamm bemerkt. So ganz taufrisch sind auch sie nicht mehr. Sie bleibt hier sitzen und spürt, wie sich ihr Körper langsam von den knapp zwanzig Kilometern holperiger Wegstrecke erholt.

    Und dann sieht sie Maria, ihre Begegnung von gestern in Pamplona. Sie winkt ihr bereits aus einiger Entfernung zu, und dann sitzen die beiden bei Kaffee und Kuchen und freuen sich darüber, daß sie sich wieder getroffen haben.
    Maria hat ganz offensichtlich schon viele Bekanntschaften geschlossen, sie erzählt von ihren Begegnungen in den einzelnen Herbergen und wie nett es miteinander sei. Die beiden Frauen schauen sich an. Maria ist braungebrannt und macht einen frischen Eindruck, obwohl sie die gleiche Strecke zurückgelegt hat wie Samantha. Mit ihren beiden Wanderstöckchen hat sie es etwas leichter und sieht sehr beschwingt aus, wenn sie geht.

    Sie entschließen sich, ihr Gespräch während des restlichen Weges fortzusetzen und brechen gemeinsam auf. Wenngleich die Mittagszeit vorüber ist, kommt es ihnen trotzdem so vor, als würde die Sonne jetzt noch heißer vom Himmel herabscheinen. Durch die lange Pause wollen auch Samanthas Füße wieder weitergehen, und sie bemüht sich sehr, dem strammen Schritt von Maria standzuhalten, was gar nicht so einfach ist. Zwischendrin fällt ihr wieder ein, daß jeder eigentlich seinen eigenen Schritt gehen sollte, aber das Gespräch mit Maria ist so interessant, daß sie nicht darauf verzichten möchte.

    Maria erzählt ihr von einer kleinen Kapelle, die auf dem Weg liegen soll und die sie sich unbedingt anschauen möchte. „Santa Maria de Eunate“. Na ja, so ganz auf dem Weg ist es wohl nicht. Ein Blick auf die Karte zeigt einen Umweg von ungefähr sechs Kilometern. Jetzt sind die beiden allerdings so in ihre Unterhaltung vertieft, daß sie gemeinsam gehen wollen. Auf diesem Weg gibt es so viele Kirchen und Kapellen, da kommt es auf diese eine auch nicht an, denkt Samantha, während sie weitertapern.

    Die Felder um sie herum sind verdorrt. Das Getreide ist bereits geerntet. Der knorrige Boden läßt erahnen, daß es seit einiger Zeit nicht mehr geregnet hat. Hier und da sieht man ein paar Landarbeiter, während die Sonne gnadenlos vom Himmel brennt. Weit und breit gibt es keinen Schatten. Samanthas kurzärmeliges T-Shirt ist komplett durchgeschwitzt, sie spürt nicht einmal eine leichte Brise auf ihrer Haut. Die Furcht vor einem Sonnenbrand läßt sie ihr Allzwecktuch über den Kopf stülpen, und mit wehendem Tuch über Kopf und Armen geht sie die letzten Kilometer bis zur Kapelle.
    Es befinden sich nur wenige Pilger hier. Die zusätzlichen Kilometer zur Tagesetappe scheinen eine ganze Reihe von ihnen davon abgehalten zu haben. Zeitpunkt und Sonnenstand sprechen in der Tat dagegen.

    Die Kapelle ist achteckig und von einem Kreuzgang umgeben. Sie ist anders als die Kirchen, die Samantha bislang gesehen hat, und hat eine ganz eigene Ausstrahlung. Trotz ihres kleinen Ausmaßes besitzt sie dennoch etwas außergewöhnlich Erhabenes. Und sie übt eine starke Anziehung auf Samantha aus, die diese gar nicht deuten kann. Maria und sie gehen den Kreuzgang in entgegengesetzter Richtung. Hier an diesem Ort möchte jede von ihnen mit sich selbst sein. Beiden ist jetzt nicht nach Reden zumute.

    Was Samantha eben noch als eine starke Anziehungskraft empfand, wird nun zu einem kraftvollen Energiestrom. Sie gibt sich diesem Gefühl hin und läßt mit sich geschehen. Ihre Füße steuern in Richtung Innenraum. Hier ist es dämmrig, eine ganz leise, sakrale Musik füllt den Raum und nimmt sie gefangen. Ihre Gedanken versiegen. Es wird still in ihr und um sie herum. Jetzt hört sie einen Chor singen — sehr leise, sehr leidenschaftlich und ausdrucksvoll.

    Sie findet sich in der ersten Reihe vor dem Altar wieder und setzt sich auf eine der schlichten Holzbänke. Maria ist auch da. Sie sitzen schweigend nebeneinander und geben sich der Atmosphäre hin.
    In Samantha entsteht ein Wirbel, der sich vom Magen her ausbreitet, ihre Brust erreicht und ihr dann in den Kopf steigt. Ein merkwürdiges Gefühl.
    Und dann — unversehens — zieht es sie auf die Knie. Sie kann nichts ‘ dagegen tun, ja eigentlich bemerkt sie es erst richtig, als sie bereits auf beiden Knien am Boden ist. Was geschieht hier

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