So nah am Leben

ganze Welt erhellt war durch die Liebe. Und das Land der Dunkelheit wurde wieder ein Land des Lichts.
    Als Glorias Werk beendet war, starb sie und ließ ihren alten Körper zurück. Gloria aber kehrte in das Land des Lichts zurück, und dort herrschten große Freude und großer Jubel.

    Samanthas Blick hat sich an die eintönigen Farben auf dem Weg durch die Tafelberge gewöhnt. Gelbtöne in allen Varianten — vielleicht noch das Grau der Staubwege — sonst nichts. Diese Landschaft läßt ihren Gedanken freien Lauf, ohne jegliche Ablenkung, und so genießt sie die Erinnerungen an das Märchen und versucht, sich selbst zu erinnern. Wie lautet wohl ihr ganz persönlicher Auftrag hier auf diesem Planeten?

    Ganz plötzlich verändert sich das Gesicht der Landschaft vor ihr. Sie steht vor dem Flußlauf des Río Odrilla. Ein üppig bewachsenes und sehr breites Flußbett schlängelt sich durch die Erde. Diese scheint lehmig zu sein, denn das Wasser weist die typisch gelblichschlammige Farbe auf. Die Natursteinquader der Brückenteile nehmen diese Farbe auf und geben sie an die Pflanzen ringsherum weiter. Samanthas Augen freuen sich über diese Abwechslung, welche ihnen keinen Schock versetzt, sondern sie farblich behutsam auf Varianten hinweist.

    Nach Tagen der Wanderung durch die Einöde der Tafelberge kann sie sich am Wasser und an der reichen Vegetation gar nicht sattsehen. Eine kleine Insel ragt aus dem Wasser heraus und unterbricht mit ihrem Schilfbewuchs den Flußlauf. Blühende Büsche wuchern am Ufer, und ihre kleinen Ästchen reichen bis ins Wasser hinein und verwischen die Konturen. Selbst kleine Bäume sind über der Wasseroberfläche zu sehen und bezeugen, daß der Pegel nicht immer so hoch war. Und über allem steht ein Hauch von Milde und Harmonie.

    Samantha geht die Böschung hinunter und breitet ihre Sachen am Ufer aus. Durch einen Brückenbogen hindurch blickt sie auf einen Platanenhain, der durch die feuchte Erde gespeist wird. In Reih und Glied stehen die ungefähr zehn Meter hohen Bäume auf der anderen Seite des Bogens und fangen ihren Blick ein. Sie fühlt sich zurückversetzt in alte Zeiten. Der Brückenbau erscheint ihr sehr alt, vielleicht stammt er aus der Römerzeit. Das nicht begradigte Flußbett mit dem hohen Wasserstand und der üppige Bewuchs sind ungewohnt und erscheinen unberührt von Menschenhand. Was für ein schönes Fleckchen Erde!

    In der sonnigen Baumkrone sitzt ein Vogel und singt für Samantha ein wunderschönes Lied. Es trägt die Botschaft: „Erinnere dich an die Liebe und an das Licht in allem!“
    Samantha liegt ausgestreckt am Ufer und spürt die Bedeutung dieser Worte in jeder einzelnen ihrer Zellen. Sie ist hier, um Geist und Seele weiterzuentwickeln, um die Entwicklung des Ganzen mitzugestalten und voranzubringen. Sie ist hier, um zu lieben und um geliebt zu werden. Sie ist — wie jedes Teil dieses Universums — hier, um zu bereichern, um alles reicher und glücklicher zu machen.

    Ein leichter Wind kommt auf und streicht um ihren Körper. Er fühlt sich an wie zärtliche Hände, die sie in einen entspannten Schlaf streicheln. Sie träumt von duftenden Blütenmeeren, von verzauberten Vögeln, die ihr Botschaften bringen, und von einer Welt voll strahlendem Licht und bedingungsloser Liebe. Währenddessen fragt sie sich, ob dies ein Traum ist oder ob sie im Schlaf in ein anderes Universum auf- oder abgetaucht ist. Ob sie sich gerade erinnert oder ob sie es wirklich erlebt, und ob es überhaupt eine Trennung zwischen Erinnerung und tatsächlichem Erleben gibt.
    Als sie wieder erwacht, wirkt dieser Gefühlszustand in ihr nach. Deshalb entscheidet sie sich dafür, daß sie es wirklich erlebt hat und nimmt mit leichten Händen ihren Rucksack auf die Schultern. Lockeren Schrittes geht sie ihrem Tagesziel entgegen.

    In ihr ist ein größeres Verständnis dafür entstanden, worum es offensichtlich geht. Ihre Seele hat einen Auftrag mitgebracht, und nun ist es an ihr, dieser Seele durch ihre Grobstofflichkeit den Raum und die Erinnerung für die Umsetzung zu geben. Es ist an Samantha, ihre Seele zu pflegen und ihr den Platz einzuräumen, der ihr gebührt. Und sie hat ein physisches Werkzeug mitbekommen, das ihr als Wegweiser bei dieser Arbeit dient: ihr Herz. Ihr Herz ist die beste Freundin ihrer Seele. Es erscheint ihr wie ihr eigenes Sprachrohr. Hört sie auf ihr Herz, so handelt sie im Sinne der Seele. Ihr Herz ist es auch, das die Liebe in die Welt bringt.

    Blitzartig