So nah am Leben
werden.“
Also gut. Sie fragt nach einer Busverbindung und erfährt, daß es in Ponferada einen Busbahnhof gibt, von dem aus Busse in alle Richtungen abfahren. Die Wegbeschreibung dorthin ist sehr ungenau, und es dauert mehr als eine halbe Stunde, bis sie endlich dort ist. Sie kauft sich ein Ticket und erfährt, daß der heutige Bus ziemlich bald abfährt. Und wenige Minuten später sitzt sie auch schon im Bus nach Villafranca del Bierzo.
Die Fahrt dauert nicht einmal eine Dreiviertelstunde. Sie nutzt die Zeit, um sich noch einmal Gedanken über das Thema Liebe zu machen.
Wenn die Liebe kosmisch und immer da ist, wieso behaupten dann so viele Menschen, es gäbe so wenig davon auf dieser Welt? Und ihr fallen auch solche Äußerungen ein, daß man aufpassen müsse, wem man seine Liebe schenke oder daß man sie nicht vergeuden dürfe. Das klingt für sie alles ziemlich gruselig, und sie denkt sich, daß es vielleicht gerade umgekehrt ist. Daß man, je mehr man davon verschenkt und verströmt, desto mehr auch zurückbekommt. Wir müssen die Liebe nicht hüten oder horten. Samantha hat das Gefühl, daß sich Liebe durch Verschenken eher multipliziert. Und wenn sie immer und überall da ist, dann braucht Samantha diese wunderbaren Momente auch nicht festhalten zu wollen, so wie heute morgen . Es wird immer wieder neue geben, wenn sie sich nur dafür öffnet.
In vielen Fällen binden wir den Begriff der Liebe und das dazugehörige Gefühl an einen Menschen und glauben, daß wir nur mit „dessen“ oder „deren“ Liebe glücklich werden können. Das erscheint Samantha im Licht der neugewonnenen Aspekte absurd, weil Liebe nicht an eine Person oder gar an ein Etwas gebunden sein kann. Es erscheint ihr so, daß wir Liebe nur dann erfahren, wenn wir sie nicht beanspruchen. Liebe ist vordringlich ein Akt der Freiwilligkeit der Liebe selbst.
Samantha unterbricht ihre Gedanken, weil sie in Villafranca del Bierzo angekommen ist. Das Erste, was sie sieht, ist ein restauriertes Kastell mit einem wunderbar angelegten Park. Hier scheint vieles auf die Pilger ausgerichtet zu sein.
Auf dem Weg von der Haltestelle in die Altstadt kommt sie an einer Herberge und der ersten Kirche vorbei. Villafranca hat zahlreiche Kirchen. Diese hier erscheint ihr schlicht genug, daß sie sie von innen ansehen möchte. Sie trifft auf den Pfarrer. Er ist ein Niederländer und spricht sie auf deutsch an. Vor vielen Jahren hatte er eine Stelle in der Nähe von Frankfurt, und jetzt ist er bereits seit einigen Jahren hier in der Pfarrei der Deutschen Gemeinde. Er ist ein sympathischer junger Mann, und er erklärt ihr die Geschichte des Dorfes.
Nach ein paar Minuten wird er in seine Sakristei gerufen, und Samantha setzt sich in die erste Reihe. Die energetische Atmosphäre der Kirche ist stark geprägt vom Geist des Pfarrers. Sie spürt große Harmonie und reine Geborgenheit und kann plötzlich erkennen, daß auch dies etwas mit der Liebe zu tun hat, über die sie heute schon so viel nachgedacht und erfahren hat. Samantha beginnt zu beten und formuliert dabei die Frage: „Was ist Liebe genau?“
Und dann geschieht etwas sehr Schönes. Eine Stimme in ihr wird immer deutlicher. Es ist, als rezitiere diese Stimme ganz altes Wissen. Vielleicht könnte sie es auch so sagen, daß etwas Göttliches zu ihr spricht:
„Zu lieben ist etwas ganz Natürliches. Dieses Gefühl ist nichts, was ihr Menschen euch ausgedacht habt . Es ist der Urzustand der Welt. Jede Schwingung ist Liebe. Alles ist Liebe. Selbst euer Zorn ist Ausdruck der Liebe, denn es gibt nur die Liebe. Was ihr daraus macht, ist eure Sache. Es gibt nur die Liebe.
Sie ist aber nicht so, wie ihr denkt. Sie ist einfach. Sie ist der Kontext für euer Leben. Die Liebe ist nicht gut, und sie ist nicht schlecht — die Liebe ist. Alles geschieht aus Liebe. Der Kosmos ist Liebe. Sie ist die energetische Formel für Leben. Und ihr könnt nicht nicht lieben. Ihr könnt euch anstrengen, andere Dinge zu fühlen. Die anderen Gefühle sind alle auch Liebe — egal wie ihr sie nennt. Und ihr sehnt euch alle danach, weil es der Urzustand ist. Weil ihr Liebe seid. Es ist nicht diese romantische Geschichte, die ihr Liebe nennt. Liebe ist in allem — Liebe ist alles. Alles, was ihr benennt, sind nur Teilaspekte der Liebe, denn sie umfaßt alles. Sie ist der Kontext eures Lebens.“
Dann ist es still in ihr.
So eine Stimme hat Samantha noch nie vernommen. Sie ist recht beeindruckt. Sie geht aus der
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