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So nah am Leben

So nah am Leben

Titel: So nah am Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inaqiawa
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Wünsche und Bedürfnisse deiner Seele werfen. Durch mich drückt die Seele ihre Wünsche und Bedürfnisse aus. Wenn du auf mich hörst, gehst du den Weg, den zu gehen du gekommen bist. Wenn du auf mich hörst, fühlst du dich im Lebensfluß. Wenn du auf mich hörst, ist in dir das Gefühl, zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein.“
    Was für ein schöner Gedanke!

    Die Sonne erscheint hinter den Bergen und taucht alles in ein warmes, weiches, strahlendes Licht. Wie eine Inszenierung kommt Samantha dieser Moment vor. Alles paßt, alles stimmt. Sie fühlt sich eins mit der Umgebung. Sie fühlt sich getragen vom Universum und denkt, das ist ein perfekter Moment zum Sterben, und sie dankt dem Leben für ihre Existenz.

    Es ist noch früh, und Samantha ist bereits die Hälfte ihrer Tagesstrecke gelaufen. Wenn sich ihr Körper weiter so kooperativ verhält, kann sie am Mittag schon in Triacastella sein. Der Weg läßt sich angenehm gehen. Die vielen Hohlwege mit ihrem kräftigen Randbewuchs spenden Schatten und sind auch für die Augen sehr kurzweilig. Und so läuft sie gutgelaunt Kilometer um Kilometer.
    Am Alto de Poio hat sie die höchste Stelle mit 1.337 Metern erreicht. Der Blick ist umwerfend. In jedem Dorf, das sie danach passiert, pausiert sie und hört auf ihre innere Stimme, die sich von Zeit zu Zeit meldet und die sie darauf hinweist, daß sie genießen darf, was es zu genießen gibt. Und so läßt sie es sich auf der ganzen Strecke gut gehen und hat fast das Gefühl, ein Pilgertourist zu sein, und das ohne schlechtes Gewissen.

    Gegen Mittag erreicht sie Triacastella und findet ein neues kleines Hostal mit einem Garten und einer Terrasse vor jedem Zimmereingang. Rosensträucher umranken blühend die kleine Eingangspforte zu ihrem Bereich, und sie findet es nahezu paradiesisch.
    Der Garten hat einen abgeschirmten Bereich, in dem reichlich Platz zum Trocknen der Wäsche ist. Dieses Haus ist ganz auf die Bedürfnisse der Pilger eingerichtet. Das ist eine gute Gelegenheit, um einen Waschtag einzulegen, und Samantha macht es gründlich: Außer ihrem Badeanzug bleibt nichts trocken. Bis alles wieder gebrauchsfähig ist, bleibt Samantha im Zimmer und hält Siesta.

    Das Thermometer an der Hauswand zeigt sechsunddreißig Grad Celsius im Schatten. In den nächsten drei Stunden ist es draußen nicht auszuhalten, und so liegt sie auf ihrem Bett und denkt weiter über das Thema nach.
    Wie kann sie die Herzstimme in sich von den anderen Stimmen, die sich auch zeigen, unterscheiden? Diese Frage erscheint ihr wichtig, denn sie möchte sicher sein, auch tatsächlich ihrer „Herzstimme“ zu folgen. Dazu muß sie aber erst einmal herausfinden, welche Stimmen sie noch in sich hat und welchen Ursprung sie haben. Dann könnte sie sie zuordnen und würde auch die Stimme ihres Herzens erkennen können.

    Als erstes fällt ihr da ihr Verstand ein. Wenn sie berücksichtigt, was sie in den letzten Wochen alles über ihren Verstand herausgefunden hat, kann sie sagen, daß die Gedanken, die der Verstand ihr schickt, oft etwas mit „Recht haben müssen“ zu tun haben. Und alle Stimmen, die alles „beim Alten lassen“ wollen, stammen sicher auch von ihm. Zusätzlich fällt ihr ein, daß der Verstand ja von einem Mangelzustand ausgeht, also kommen auch alle Gedanken, die über einen Mangel sprechen, nicht aus ihrem Herzen, sondern eher von ihrem Verstand. Und er selbst will schließlich immer Recht behalten, deshalb verwendet er auch dauernd das Wort „müssen“. Wenn ihre innere Stimme dieses Wort verwendet, kann sie ebenfalls sicher sein, daß sie nicht aus ihrem Herzen kommt.

    Dann gibt es da noch eine Stimme in ihr, die ihr dauernd sagen will, was sie darf und was sie nicht darf. Oft kommt diese Stimme im Tonfall ihrer Mutter. Diese Stimme suggeriert ihr, sie müsse hei allem und jedem um Erlaubnis fragen — obwohl sie über fünfzig ist. Diese Stimme würde sie als Zeigefinger ihrer Erziehung bezeichnen, und sie ist sich ziemlich sicher, daß sie sie sehr leicht von der Stimme ihres Herzens unterscheiden kann.

    Oh, da fällt ihr gleich noch ein weiterer Zeigefinger ein. Der unserer Gesellschaft. Man tut dies nicht und man tut das nicht — oder man „soll“ dies und jenes tun... Diese Stimme sagt ihr ganz genau, oh sie den allgemeinen Wertmaßstäben gerecht wird oder nicht. Sie sagt ihr, wie sie sein „sollte“. Den Mut zu haben, die zu sein, die sie ist, und nicht die sein zu wollen, die sie sein sollte, das ist

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