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So nah am Leben

So nah am Leben

Titel: So nah am Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inaqiawa
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ihr beim Thema Mut besonders klargeworden, daran erinnert sie sich noch deutlich. Das ist also auch nicht ihre „Herzstimme“.
    Jetzt hat sie drei verschiedene Kategorien herausgefiltert, die sie sicher wissen lassen, daß es sich nicht um ihre „Herzstimme“ handelt, aber sie hat irgendwie noch keine sicheren Anzeichen für die Stimme ihres Herzens gefunden.

    Und was ist mit all den Gedanken, die sich um alte Gefühle von Verletzungen, Enttäuschungen und Erwartungen drehen? Davon gibt es doch im täglichen Geschehen mehr als reichlich. Die würde sie eher ihrer Kindheit zuordnen oder vielleicht als „Stimme ihres inneren Kindes“ bezeichnen. Manchmal verändert sich ihre Stimme in der Tat bei solchen Gelegenheiten in eine kindliche. Das mag dann niedlich oder schmollend klingen — ihre „Herzstimme“ ist das aber sicher nicht.

    Sie hat ihre Position auf dem Bett noch nicht verändert. Auch hier im Zimmer ist es sehr warm. Jede unnötige Bewegung bringt sie ins Schwitzen. Sie liegt einfach nur da und denkt.
    Welche sind nun die Eigenschaften dieser besonderen Stimme, die stellvertretend für ihre Seele spricht? Und wie sehen denn ihre Vorstellungen aus, wie sie sein müßte ?, fragt sie sich einfach mal ganz spontan, dann kann sie vielleicht auch mit der richtigen Antwort rechnen.

    Wie stellt sich Samantha die Stimme ihres Herzens vor? Sie ist sanft, liebevoll und gütig. Sie versteht und kann sich einfühlen. Sie erkennt alles an und lehnt nichts ab. Sie bewertet nichts — kennt kein „Gut“ und kein „Schlecht“ — sie nimmt alles so, wie es ist. Wow, das klingt ja unglaublich... Gibt es diese Stimme in ihr? Nicht so oft, wie sie sich das jetzt gern zugestehen würde. Aber Teile davon hat sie durchaus schon wahrgenommen. Es ergibt keinen Sinn, sich innerlich dafür zu schelten oder zu lamentieren. Das Wichtigste ist für sie, daß sie herausgefunden hat, um was es geht. Der Rest — davon ist sie überzeugt — der Rest kommt mit der Zeit, denkt sie und schläft noch einmal ein.

    Sie wacht gerade rechtzeitig auf, um das beginnende Leben in dem kleinen Ort mitzubekommen. Sie nimmt die Wäsche von der Leine und ist rasch wieder angezogen, und dann schaut Samantha, wo sie ihren Hunger befriedigen und ein gutes Glas Rotwein bekommen kann.

Das Leben als Spiel

    Das Leben als Spiel zu sehen, heißt:
    Ein anderer mischt die Karten,
    und wir machen das beste
    aus dem uns zugeteilten Blatt.
    Es ist ein Spiel, bei dem alle gewinnen.

    Heute morgen ist sie spät losgekommen. Die Kirchturmuhr schlägt schon halb neun. Die Sonne brennt bereits jetzt vom Himmel, und sie ist so dankbar über die vielen Hohlwege hier in Galicien, die ausreichend Schatten spenden und das Tagespensum erleichtern. Samantha spürt, daß die Galicier die Pilger nicht so sehr brauchen wie andere Regionen, dennoch gibt es hier eine Besonderheit. Am Wegesrand stehen hübsche Stelen mit gelben Muscheln, die eine Kilometerangabe haben. Sie zeigen, wie viele Kilometer es noch bis Compostela sind. Für Samantha, die mehr als sechshundertfünfzig Kilometer hinter sich hat, sind die Angaben eine willkommene Ermutigung.

    Heute läuft sie bei Kilometerstand 129,5 los. Es sind nur noch wenige Tage bis zum Ziel, und hin und wieder kommt der Gedanke in ihr auf, daß das Abenteuer bald zu Ende geht. Daran möchte sie jetzt aber noch nicht denken.
    Sie blickt über die unendlich wirkenden Maisfelder, die anzeigen, daß hier Viehwirtschaft betrieben wird. Das kann man auch an den Straßen in den kleinen Bergdörfern erkennen. Die Bauern treiben ihr Vieh jeden Morgen auf die Weiden und holen es am Abend wieder in den Stall. Das hinterläßt Spuren, deutliche Spuren, die nicht nur zu sehen sind.

    Bis nach Sarria, ihrem Etappenziel für heute, sind es nur siebzehn Kilometer, und Samantha kommt gut voran. Die Schmerzen in den Füßen haben nachgelassen, und so kann sie fast beschwingt einen um den anderen Kilometer gehen. Wie spielerisch der Weg sein kann, ohne Schmerzen!

    Überhaupt — kann man nicht das ganze Leben als eine Art Spiel ansehen? Ein Spiel, das alles beinhaltet. Kann der Kontext des Lebens nicht der Gedanke eines Spiels sein? Alles ist möglich in diesem Kontext — in diesem Spiel.

    Sofort meldet sich eine innere Stimme in ihr, die sagt: „Nein, nein, das Leben ist eine ernste Angelegenheit. Das Leben kann man nun wirklich nicht als Spiel bezeichnen.“ Und sie identifiziert sowohl den gestern erkannten Zeigefinger der

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