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So nah bei dir und doch so fern

So nah bei dir und doch so fern

Titel: So nah bei dir und doch so fern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Allatt
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Vorrichtung zu verbessern. Fortan besuchten mich Alison, Anita und Jaqui mit ihrem Alphabet bewaffnet, und wir verbrachten Stunden damit, Wörter zu buchstabieren. Es war eine langsame und mühsame Form der Kommunikation. Sie mussten jeden Buchstaben erst klar und deutlich aussprechen und dann auf meine Reaktion warten. Für ein einfaches Wort mit höchstens drei oder vier Buchstaben brauchten wir mindestens zwanzig Minuten.
    Eine der ersten Botschaften, die ich auf diese Weise blinzelte, war: » KEIN SCHLAF «.
    »Du kannst nicht schlafen?«, fragte Jaqui.
    Ich blinzelte zwei Mal.
    »Nachts?«
    Erneut blinzelte ich zwei Mal.
    »Du sagst, du kannst nachts nicht schlafen?«
    Wieder zweifaches Blinzeln. Endlich hatte ich mich verständlich machen können. An diesem Abend bekam ich eine Dosis zerstoßener Schlaftabletten, und zum allerersten Mal schlief ich von elf bis sechs Uhr morgens durch.
    Heute verstehe ich, weshalb Schlafentzug als Foltermittel eingesetzt wird. Nach dieser ersten richtigen Nacht wirkte das Leben gleich viel freundlicher auf mich. Da ich jetzt über eine Möglichkeit verfügte, meine Bedürfnisse zu vermitteln, spürte ich große Erleichterung, und ich hatte sogar Hoffnung, in meine Behandlung mit einbezogen zu werden. Wenn meine Verwandten und das Pflegepersonal wussten, dass mein Verstand arbeitete, würden sie auf keinen Fall die Geräte ausschalten und mich sterben lassen, ohne mich vorher gefragt zu haben.

    Ich lernte sehr schnell, dass die Kommunikationstafel nur so effektiv war wie die Person, mit der ich gerade zu tun hatte. Wenn niemand da war, der das Alphabet vorlas, hatte ich keine Stimme. Ich musste auch erkennen, dass einige Verwandte, Freundinnen und sogar Schwestern oder Pfleger weniger geduldig waren als andere, sobald es etwas Mühe kostete, mein Anliegen herauszufinden. Die Schlimmste von allen war meine Mutter, die sich die Tafel schnappte und die Buchstaben vorlas, ihren Blick dann aber im Raum umherschweifen ließ, während ich mir die Lider lahm blinzelte.
    »Schau mich bitte an, oder leg das Ding weg!«, hätte ich ihr gerne zugerufen, als meine Energie schwand. Es kostete mich ungeheure Anstrengung, mit meiner Mutter ein kurzes Wort zu bilden, wenn sie immer wieder abschweifte, und so schloss ich die Augen und schmollte. Wenigstens kam ich dadurch dahinter, von wem ich meine Ungeduld geerbt hatte.
    Mit Alison klappte es genauso schlecht, allerdings versuchte sie zumindest, sich auf die Aufgabe zu konzentrieren. A B C D E … und so weiter kämpfte sie sich durch das Alphabet, bis ich beim Buchstaben R zwei Mal blinzelte. Sie missverstand es als den Buchstaben P. Danach gingen wir das Alphabet noch mehrfach durch und fügten die Buchstaben A, U und S hinzu.
    » PAUS ? Du möchtest, dass wir eine Pause machen?«, fragte sie nach.
    »Nein, ich will RAUS «, versuchte ich ihr zu sagen. »Verstehst du, RAUS , nach draußen!«
    »Du willst pausieren?«
    Es war zwecklos, ich drang nicht zu ihr durch. Ich starrte angestrengt auf die Brandschutztür mir gegenüber, die in einen Hof führte. Ich ahnte, dass da Leben hinter dem Sicherheitsglas war. Ich dürstete danach, nach draußen zu kommen und frische Luft auf meinem Gesicht zu spüren. Es war Ende Februar und die Außentemperatur lag knapp über dem Gefrierpunkt, doch ich wünschte mir sehnlichst, der stickigen Atmosphäre der Intensivstation zu entkommen.
    Alison war schon lange genug mit mir befreundet, um zu wissen, dass ich starr geradeaus blickte, wenn ich etwas unbedingt wollte. Wir hatten diese Verbundenheit, bei der Worte manchmal überflüssig sind, und das war unser Glück, da wir mit unserer Tafel nicht von der Stelle kamen. Deshalb fixierte ich die Brandschutztür.
    Das wiederum führte zu dem Spiel Intensivstation-Scharade. Alison hüpfte im Raum herum, berührte verschiedene Dinge und fragte: »Warm?«
    Ich musste blinzeln, wenn es stimmte. Sie berührte den Ventilator neben meinem Bett. Ich blinzelte ein Mal für »nein« und starrte weiter auf die Brandschutztür. Sie zeigte auf meine Füße, um eine Massage anzudeuten. »Nein«, blinzelte ich und starrte auf die Tür. Sie wies auf den Fernsehapparat und vermutete, vielleicht wolle ich, dass ein Kochprogramm statt der Nachmittags-Talkshow eingeschaltet würde. Wieder blinzelte ich ›nein‹ und starrte auf die Tür. Schließlich fiel bei ihr der Groschen, und sie stellte sich neben die Tür.
    »Ja«, blinzelte ich.
    »Du möchtest raus?«, fragte sie.
    »Ja«,

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