So nah bei dir und doch so fern
befiel mich das Gefühl, dies sei ein endgültiger Abschied gewesen.
Ich dachte an das Gespräch, das Mark und ich geführt hatten, in dem es um die Notwendigkeit gegangen war, unser Testament zu machen für den Fall, dass uns etwas zustoßen sollte. Dabei hatte er gesagt, er wolle von seiner Qual befreit werden, wenn er hirntot sei. Jetzt hatte ich natürlich Angst, Mark habe diese Entscheidung für mich getroffen.
Ich verlor jeden Lebenswillen. Ich hoffte aus ganzem Herzen, Mark würde kommen und mir das Kopfkissen aufs Gesicht drücken. Für Tage versank ich in eine tiefe Depression. Ich hielt es nicht aus, mich mit meinen Besuchern zu unterhalten und dabei das Gefühl zu haben, sie seien alle gekommen, um mir ein letztes Mal Lebewohl zu sagen.
Es war Alison, die mich mit einem ihrer immer fröhlichen und freundlichen Besuche aus meiner düsteren Stimmung herausholte. Ich hatte gerade einen außergewöhnlich langen und schmerzhaften Krampf gehabt, als sie den Raum betrat. Sofort war ich erleichtert, sie zu sehen, und ich hoffte, sie würde mir helfen.
Sie sah meine traurigen Augen und fragte: »Hast du Schmerzen?«
Zwei Wimpernschläge für »ja«. Es folgte ein Biologieunterricht auf dem Niveau der Grundschule, indem sie auf jeden Teil meines Körpers zeigte und die beiden entscheidenden Wimpernschläge erwartete. Nachdem wir den Bereich der Beschwerden, die Beine, lokalisiert hatten, fragte sie: »Tut es sehr weh?«
Zwei Wimpernschläge.
»Ist es ein Krampf?«
Ich blinzelte zwei Mal, und schon machte sie sich auf den Weg und bat eine Schwester, meine Beinschienen zu entfernen, sodass sie die restliche Besuchszeit damit verbringen konnte, meine verkrampften Gliedmaßen zu massieren. Meine Freundinnen kamen bald dahinter, dass die Krämpfe zu den Dingen gehörten, die mich am meisten quälten. An manchen Nachmittagen hatte ich ungeheure Schmerzen. Wenn meine Freundinnen dann den Raum betraten, flossen meine Tränen vor Erleichterung. Es dauerte nicht lange, bis sie herausgefunden hatten, dass meist die Krämpfe dafür verantwortlich waren, und so bewegten sie vorsichtig meine Beine, um die Schmerzen zu lindern.
Eine andere Form der Diagnosefindung lief so ab: »Brauchst du ein Medikament?«
Zwei Mal blinzeln.
»Brauchst du es sofort?«
Ein Wimpernschlag für »nein«.
»Brauchst du es bald?«
Zwei Mal blinzeln.
Dann machte sich Alison auf den Weg und bat um eine Dosis Schmerzmittel für mich. Bei anderer Gelegenheit verursachten meine heißen verschwitzten Beinschienen einen unerträglichen Juckreiz, und ich war ja nicht imstande, mich selbst zu kratzen. Wieder war es Alison, die mit einer Reihe von Ja-Nein-Fragen das Problem lokalisierte und geduldig die juckenden Stellen kratzte. Himmlisch!
Ermutigt durch diese einfachste Form der Kommunikation steckten meine Freundinnen die Köpfe zusammen und ersannen ein »Schmerz-Schaubild«. Die Idee war entstanden, nachdem sich Anita und Alison mit einer Gruppe von Müttern unterhalten hatten. Eine dieser Frauen, die autistische Kinder unterrichtete, glaubte, eine von ihnen in der Schule genutzte Technik könne vielleicht auch bei mir von Nutzen sein. Anita malte ein primitives Strichmännchen und schrieb Fragen daneben: Brauchst du sofort etwas? Brauchst du bald etwas? Beschwerden? Schmerzen? Wundgelegen? Vorne, hinten, Seite, oben? Unbequem? Juckreiz? Medikament?
Ja? Nein? Die kleine Figur, mit roter Farbe gemalt und mit großen roten Glotzaugen, erinnerte eher an einen Alien als an einen Menschen. Ich fürchte, Zeichnen ist nicht gerade Anitas stärkste Seite, auch wenn es mich zum Lachen brachte und seinen Zweck erfüllte. Das Schaubild wurde zum Mantra für all meine Besucher, die dadurch in die Lage versetzt wurden, zur Stimme meiner Bedürfnisse zu werden.
Ich hatte über drei Wochen lang warten müssen, aber jetzt konnte ich auf die Dinge hinweisen, die mir zu schaffen machten, sofern jemand bereit war, sich des Schaubilds zu bedienen. Alison, Anita und Jaqui nahmen sich die Zeit, sich zu mir zu setzen und sich durch die diversen Schmerzkombinationen hindurchzufragen, bis ihnen mein Blick signalisierte: »Danke!«
Danach gingen die Freundinnen daran, eine Tafel mit sämtlichen Buchstaben des Alphabets zu entwerfen. Sie hatten mittlerweile jede Menge Bücher und Artikel zum Thema Schlaganfall und Locked-in-Syndrom gelesen, und es schien, als seien viele Patienten in der Lage, ihre Kommunikationsfähigkeiten mit dem Gebrauch einer solchen
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