Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
So nah bei dir und doch so fern

So nah bei dir und doch so fern

Titel: So nah bei dir und doch so fern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Allatt
Vom Netzwerk:
Fläche führte, bei der nur noch ein paar Flecken an den früheren Rasen erinnerten. Hier und da standen ein paar Plastikstühle, es gab eine Gartenbank und ein erhöhtes Blumenbeet, das lange nicht mehr gepflegt worden war und einem Dschungel glich. Hinter dem ehemaligen Rasen standen Bäume, dahinter lag die Straße, die für mich Freiheit symbolisierte.
    Von meinem Rollstuhl aus konnte ich auf die Täler und in der Ferne auf die Dörfer von Nord-Sheffield blicken. In dieser Gegend lag eine meiner bevorzugten Laufstrecken. So manches Wochenende waren Anita und ich über die Weiden der beeindruckend behörnten Hochlandrinder gerannt. Ich dachte an das eine Mal, als wir Anitas Dalmatiner Cai zum Laufen mitgenommen hatten. Während der Hund auf der Suche nach Hasen im Gras herumschnüffelte, kam eines dieser gewaltigen Rindviecher auf uns zugestürmt. Man hat Anita und mich noch nie so schnell flitzen sehen; wir schnappten uns den Hund und sprangen über den nächsten Zaun in Sicherheit.
    Als ich beweglicher wurde, machte ich Bekanntschaft mit den anderen Langzeitpatienten der Abteilung. Unter ihnen befand sich Mavis, die sich genauso gerne draußen aufhielt wie ich. Sie war eine aktive Frau von sechzig Jahren, hatte ein Bowling-Team angeführt und war so etwas wie Sonnenanbeterin, bis sie durch eine Fieberblase an Enzephalitis erkrankte und schwerbehindert blieb. Während der Sommermonate hielt sie sich mit mir im Garten auf, wo sie sich ins Gras setzte und die Sonne genoss.
    Später, nachdem ich nach Hause zurückgekehrt war, erfuhr ich, dass sie das Krankenhaus mittlerweile verlassen hat und in einem nahe gelegenen Pflegeheim lebt, da sie laut Fachurteil nie mehr in der Lage sein wird, für sich selbst zu sorgen.
    In dem Bett neben mir lag eine Muslima aus Somalia. Ich bin nie dahintergekommen, was ihr eigentlich fehlte, da sie sehr in sich gekehrt war und kaum Englisch sprach. Bei den Mahlzeiten unterhielt sie sich nie mit anderen Patienten, und ihre dunkelbraunen Augen sah ich nur hinter dem winzigen Schlitz in ihrer Burka, die sie ständig trug. Sie verbrachte viel Zeit mit Beten hinter dem Vorhang, den sie oft um ihr Bett zog, um den Rest der Abteilung auszuschließen, wenn sie Besuch bekam. Ich hatte das Gefühl, dass sie für das Pflegepersonal sogar eine noch größere Last war als ich. Sie weigerte sich, sich beim Duschen von den Schwestern helfen zu lassen, was beim Pflegepersonal jedes Mal die Befürchtung hervorrief, sie könne fallen und sich verletzen.
    Eines Nachmittags, als Alison mich besuchte, brachte sie mich unbeabsichtigt zum Lachen. Ich weiß nicht mehr, worüber wir beide uns gerade unterhielten, aber wir lachten, vermutlich ziemlich laut. Unbemerkt verließ die Frau ihr Bett, kam zu mir, fixierte Alison und sagte: »Sie krank.«
    Alison antwortete ihr, sie sei keine Patientin, sondern nur eine Besucherin.
    »Nein, Sie krank«, insistierte die Frau, verschwand wieder in ihr Bett und ließ Alison und mich einigermaßen konsterniert zurück, woraufhin wir unser Lachen zu dämpfen versuchten. Ich kann nur vermuten, dass sie Alisons raues Lachen gehört hatte und glaubte, sie habe nach Atem gerungen.
    Ein anderer Freund in meiner Abteilung war ein asiatischer Junge, der bei einem Verkehrsunfall eine schwere Gehirnverletzung davongetragen hatte und für immer auf einen Rollstuhl angewiesen sein würde. Er hatte etwas von einem verkappten Rennfahrer an sich, und als man mir die Benutzung eines elektrischen Rollstuhls zugestand, den ich selbst bedienen konnte, forderte er mich oft zu einem Rennen durch die Station heraus, was uns Ärger mit dem Pflegepersonal einbrachte, aber großen Spaß machte.
    Später erfuhr ich, dass er den Unfall auf einer zweispurigen Straße gebaut hatte, als er sich aus dem Autofenster hing und herumprotzte. Nachdem ich das wusste, sah ich ihn mit anderen Augen. Es verstärkte auch mein Selbstmitleid. Sobald ich ihm begegnete, musste ich unwillkürlich denken: Du sitzt in deinem Rollstuhl, weil du einen blödsinnigen Fehler gemacht hast. Ich hingegen habe mir mein Schicksal nicht selbst ausgesucht.
    An einem heißen, sonnigen Nachmittag saß ich mit Mavis und der Burka-Frau im Garten, als ich Anitas weißen Mercedes-Transporter auf den Parkplatz fahren sah. Zu meiner Überraschung stiegen Anita und Alison beide mit einem Spaten und einer Harke bewaffnet aus. Ich hatte keine Ahnung, was sie vorhatten, und laut meinem Besucher-Zeitplan für heute waren sie auch gar nicht

Weitere Kostenlose Bücher