So nah bei dir und doch so fern
Ich war durchgefallen, da die Muskeln der Speiseröhre noch zu schwach waren und die Nahrung nicht nach unten beförderten. Ich war enttäuscht, denn ich hatte nie die Möglichkeit in Betracht gezogen, dass ich scheitern konnte. Jetzt musste ich einen weiteren Monat warten, bis man mir einen neuen Versuch erlaubte.
Während dies ein herber Rückschlag für mich war, stimmte mich meine Physiotherapie positiv, die mal in kleinen Schritten, mal großen Sprüngen voranging. Meine Therapeutin hatte eine Liste der Übungen erstellt und an meinen Spind geheftet:
Kates Übungen:
1. In liegender oder sitzender Haltung: Oberarm und Handgelenk halten und Arm langsam auf und ab bewegen. Kate bestimmt, wie weit es geht. Sie braucht mehr Hilfe beim linken Arm. 10 Mal wiederholen, dann den Arm zur Seite führen.
2. In sitzender Haltung: Stuhl senkrecht stellen und Kate helfen, sich aus dem unteren Rücken etwas nach vorne zu beugen. Eine Hand auf Kates Rücken oberhalb des Steißbeins halten und sie auffordern »Fallen lassen, dann aufrecht sitzen!«. Dabei den Kopf nicht überstrapazieren.
3. Ohne Unterstützung nach vorne gebeugt im Stuhl: rechte Hand heben trainieren.
4. Mit angewinkelten Knien und ausgestreckten Füßen auf dem Bett liegend: Kate helfen, Knie und Füße ruhig zu halten, während sie den Po 10 Mal LANGSAM auf und nieder bewegt.
Diese Übungen waren notwendig, um meine schlaffen Muskeln zu stärken und mir zu helfen, das Gleichgewicht zu finden, was darüber entscheiden würde, ob ich kräftig genug war, das Gehen in Angriff zu nehmen. Wenn Mark, meine Mutter, Alison oder Anita mich besuchten, starrte ich auf das Übungsblatt, und sie gingen die Sachen mit mir der Reihe nach durch und schwatzten währenddessen. Sie förderten meine Zielstrebigkeit, und ich bin sicher, dass sie mir halfen, meine eigenen Vorgaben viel schneller zu erreichen, als meine Therapeuten erwartet hatten.
Mit Unterstützung von zwei Schwestern oder Pflegern und der Winde konnte ich längere Zeit aufrecht stehen, was wiederum bedeutete, dass ich mir jetzt vornehmen konnte, demnächst auf die Toilette zu kommen, um mit der Zeit vom Katheter-Beutel befreit zu werden. Ich lernte, wie ich mich aus dem Rollstuhl in den Stand hochdrücken konnte. Es fiel mir auch immer leichter, den ganzen Tag im Rollstuhl zu sitzen, und dadurch wurde ich freier, mich auf der Station zu bewegen und Zeit im Schwesternzimmer zu verbringen, wo ich Facebook nutzen konnte.
Am 24. Juni gab ich stolz bekannt:
Mit etwas Hilfe bin ich heute gelaufen.
Maßgebliche Unterstützung bei diesem großen Erfolg war der Gehapparat, an den mich Gemma, meine Physiotherapeutin, herangeführt hatte. War der Kipptisch Frankensteins Bett gewesen, so stammte der Gehapparat aus der Lauflernausrüstung eines Riesenbabys. Er bestand aus einem stabilen Metallrahmen auf Rädern mit einem dicken Ledergürtel in der Mitte und Griffen an der Vorderseite. Ich wurde aufrecht hineingestellt und mit dem Gürtel festgezurrt. Schließlich forderte mich Gemma auf, die Füße zu bewegen. Anfangs brauchte ich ihre Hilfe, indem sie erst meinen rechten Fuß nach vorne schob, dann den linken. Wir wiederholten die Bewegung, erst rechts, dann links. Danach stellte sie sich vor mich hin, und ich machte es selbst, erst rechts, dann links. Ich ging! Es sah nicht elegant aus, aber es war eine Vorwärtsbewegung. Auf meinem Gesicht erschien ein breites Grinsen. In Gedanken folgte ich dem Rhythmus: »Ihr könnt mich mal, ihr könnt mich mal«, den ich all den Nein-Sagern entgegenschleuderte, die meinen Angehörigen gesagt hatten, ich würde nie mehr laufen können.
»Seht mal, Kate läuft!«, brüllte Gemma durch die Station Oliver zu, der gerade den Katheter-Beutel eines anderen Patienten kontrollierte.
»He, Sie hatten recht, als Sie darauf beharrten, wieder laufen zu lernen. Und wie Sie jetzt laufen!«, antwortete er, und ich fühlte mich gleich einen Meter größer, während ich einen schwerfälligen Schritt nach dem anderen machte. Ich hörte eine Beifallswelle, und Pflegepersonal und Patienten feuerten mich im Chor zu weiteren Schritten an.
Danach wollte ich mehr und immer mehr. Ich dachte, wenn ich gehen kann, kann ich auch laufen, doch meine Physiotherapeutin war vorsichtiger und versuchte mich zurückzuhalten, um nichts zu übereilen.
Dieser erste Gehversuch war ein wichtiger Schritt in eine Zukunft, in der ich nicht mehr vom Rollstuhl abhängig sein würde. Eines der ersten Bücher, das ich las,
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