So nah bei dir und doch so fern
dran.
Anita lud eine Schubkarre voller Pflanzen aus dem Transporter aus. Als sie mich im Garten bemerkte, winkte sie mir zu und fuhr einfach damit fort. Was dann folgte, erinnerte an eine Folge einer Garten-Verschönerungs-Sendung. Anita war im örtlichen Gartenbauzentrum von Dore gewesen und hatte von meinem Schlaganfall und dem unansehnlichen Garten berichtet, der alles sei, was den Patienten an Natur blieb. Der Filialleiter hatte sich einverstanden erklärt, ihr eine Fuhre Pflanzen zum Einkaufspreis zu überlassen, und auch die Stationsverwaltung hatte grünes Licht gegeben.
All das war geschehen, ohne dass ich auch nur ein Sterbenswörtchen davon erfahren hätte, denn es sollte eine Überraschung sein. Es war eines dieser wohlüberlegten Geschenke, die typisch für Anitas fürsorgliches Naturell sind. Gemeinsam mit Alison verbrachte sie den ganzen Nachmittag damit, das Blumenbeet in etwas zu verwandeln, das dem Königlichen Botanischen Garten Kew Gardens alle Ehre gemacht hätte.
Während ich den beiden bei der Arbeit zuschaute, wurde mir wieder klar, wie sehr ich mich glücklich schätzen durfte, solch gute Freundinnen zu haben. Anita, Jaqui und Alison waren drei ausgesprochen unterschiedliche Charaktere, doch alle drei waren stark und unabhängig. Anita war die Mitfühlende mit einem Herzen aus Gold, Jaqui war die Praktische und Bewanderte, und Alison war, wie ich schon oft genug erwähnt habe, meine Seelenverwandte.
Ich musste daran denken, wie sehr meine Krankheit diese Frauen einander nähergebracht hatte. Es gab eine Zeit, in der Anita Argwohn gegenüber Alison hegte. Am Anfang hatte Alison gar kein Interesse am Laufen, was in Anitas Augen schon mal ein Minuspunkt für sie war, und außerdem ergötzte sie sich an ungezogenen, beinahe kindlichen Späßen, was Anita wahrscheinlich als unreif missbilligte.
Ich erinnere mich, wie schockiert Anita eines Tages gewesen war, als Alison und ich zur Schule kamen, um die Kinder abzuholen, und von oben bis unten mit Schürfwunden und Beulen bedeckt waren. Am Abend zuvor hatten wir nach Ladenschluss in Alisons Frisiersalon ein Glas Shiraz zu viel getrunken und uns gedacht, es wäre doch lustig, auf Alisons Frisiersesseln die Straße bergab zu rollen. Es war in der Tat lustig … bis wir am Ende des Hügels wie ein Paar leichtsinniger Teenager nach einer Nacht mit billigem Fusel ineinanderkrachten.
Nach und nach, als sich die beiden an meinem Bett anfreundeten, lernte auch Anita Alisons warmherzige und freundliche Art kennen. Manchmal beobachtete ich sie, wenn sie mich nach einem Besuch gemeinsam verließen, und dann war ich sehr zufrieden, dass sie zu Freundinnen geworden waren, auch wenn ich etwas eifersüchtig war, nicht bei ihnen sein zu können.
Weder Alison noch Anita waren mit einem grünen Daumen gesegnet, doch an diesem Nachmittag verwandelten sie dies Stückchen Erde in einen Flecken außergewöhnlich schöner Natur. Es war ein Meer leuchtend roter, sonnenhell gelber und wunderschön blauer Blumen.
Ich konnte ihnen nicht bei der Arbeit helfen, doch ich sah, wie die Pfleger eine andere Naturschönheit bewunderten: Sie konnten ihre Blicke nicht von Anita abwenden. Sie trug einen Fetzen von weißen Shorts und ein enges weißes Leibchen, das ihre Kurven überall im rechten Licht erscheinen ließ. Mit großen rosa Gartenhandschuhen, um ihre Hände nicht schmutzig zu machen, sah sie aus wie ein Gartenprofi.
Ich war nicht überrascht, dass die Männer von ihren sinnlichen Kurven fasziniert waren. Ich spürte aber einen kleinen Eifersuchtsanfall, als ich mich fragte, ob ich in Shorts jemals wieder gut aussehen würde. Monate war es inzwischen her, dass ich mich feminin und attraktiv gefühlt hatte. In meinem momentanen Zustand war ich Luft für das andere Geschlecht. Selbst Mark schaute mich an, als hätten wir eine Bruder-Schwester-Beziehung, und er küsste mich mit trockenen Lippen, während ich mich vor allem begehrt fühlen wollte.
KAPITEL 30
Tagesausflüge und Tagebücher
I ch war bestimmt nicht immer die einfachste Patientin, das muss ich zugeben. Mittlerweile habe ich festgestellt, dass es durchaus nichts Außergewöhnliches ist, wenn Menschen nach einem schweren Schlaganfall Persönlichkeitsveränderungen durchmachen. Insbesondere berufstätige Männer, die es gewohnt waren, der Ernährer der Familie zu sein, neigen durch den Verlust ihrer Mobilität und die Unfähigkeit, weiter zu arbeiten, zu ernsthaften Depressionen. Ich kann nicht behaupten,
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