So nah bei dir und doch so fern
dass sich mein Temperament wesentlich verändert hat. Ich war schon immer impulsiv und willensstark, habe nie um den heißen Brei herumgeredet, und Mark hätte mich wahrscheinlich sogar als hitzig bezeichnet. Als der Schlaganfall meinen Körper lähmte, hatte ich keine Möglichkeit mehr, mich auszudrücken. Ursprünglich nahmen einige Schwestern an, ich käme aus einer vornehmen Riege, bis mich eine von ihnen dabei erwischte, wie ich meine Meinung mit dem ausgestreckten Mittelfinger kundtat.
Als mein rechter Arm kräftiger wurde, fand ich also neue Wege, meine Ungeduld auszudrücken. Mark war es gewohnt, regelmäßig der Adressat meines Mittelfingers zu sein, doch die Schwestern waren schockiert, dass sich diese zierliche junge Mutter aus Dore so unflätig benehmen konnte. Wenn mir die Dinge nicht schnell genug gingen, war der Finger zur Stelle. Wenn ich den Summer betätigt hatte, um zur Toilette gebracht zu werden, und die Schwester vertröstete mich mit »in einer Minute«, sah sie prompt meinen Mittelfinger. Es tat mir gut, wenn ich sonst schon nichts tun konnte, und es war eine ausgezeichnete Übung für meinen rechten Arm.
Trotz meines schlechten Benehmens erlaubte das Pflegepersonal mir irgendwann, mich für ein paar Stunden nach draußen zu begeben. Als erste Tests hatten die Einkaufstrips im Meadowhall sowie die Besuche bei mir zu Hause und im Park anlässlich meiner Geburtstagsparty gedient. Obwohl mich Ausflüge jedes Mal emotional belastet hatten, stuften meine Betreuer sie als förderlich für meine körperliche Konstitution ein, und gestatteten mir regelmäßigere Ausflüge.
Allerdings ging auswärtigen Tagen eine ganze Menge an Organisation voraus. Bevor ich mich irgendwohin aufmachen konnte, mussten entweder meine Verwandten oder die Schwestern den rollstuhlgerechten Kleinbus reservieren, der ständig angefordert wurde und mindestens eine Woche im Voraus bestellt werden musste. Außerdem durfte ich das Krankenhaus nur in Begleitung von zwei Schwestern verlassen, was spontane Ausflüge unmöglich machte.
Wir begannen zu Hause mit einem Nachmittag am Wochenende. Für mich waren es nur zwei Stunden der Befreiung, doch Mark und die Kinder kostete es einen halben Tag, da sie eine halbe Stunde für die Fahrt durch die Stadt zum Krankenhaus brauchten, um mich auf dem Weg zu uns nach Hause zu begleiten. Am Ende des Nachmittags stand für sie wieder dasselbe an, mich ausladen, in den Rollstuhl setzen, nach Hause fahren. Ich muss sagen, dass sich die Kinder bei diesen Gelegenheiten ausnehmend gut verhielten. Mark hatte es ihnen eingetrichtert.
Anfangs waren die Ausflüge schmerzlich. Ich saß die ganze Zeit in meinem Rollstuhl in der Wohnküche, wo ich so viel mit den Kindern zusammen gewesen war, und spürte, wie sich meine Augen mit Tränen füllten. Die häuslichen Gerüche und Geräusche, das Klicken der Kühlschranktür, als Harvey sich ein Getränk holte, die computergenerierten Laute des Nintendo Wii, mit dem Woody und India im Spielzimmer nebenan spielten, selbst das Foto an der Wand mit uns fünf glücklich wirkenden Familienmitgliedern, aufgereiht und grinsend während der Ferien an einem Swimmingpool, erinnerte mich daran, was ich nicht hatte.
Die Kinder setzten sich neben mich und sagten: »Komm, Mama, freu dich! Du bist doch bei uns zu Hause!«
Ich versuchte es, aber es war nicht leicht. Sie zeigten mir ihre Hausaufgaben und die Bilder, die sie unter der Woche für mich gemalt hatten. India war die Kreative, sie machte hübsche Blumen-Collagen für mich. Harvey lief in den Garten, um mir seinen neuesten Fußballtrick zu zeigen, und Woody saß einfach nur möglichst dicht neben meinem Rollstuhl, hielt meine Hand und schaute mich an. In seinen großen ausdrucksstarken Augen, die er von mir geerbt hat, konnte ich lesen, dass er seine alte normale Mama wieder für immer zu Hause haben wollte.
An den meisten Nachmittagen benutzten wir die Kommunikationstafel, doch die Kinder kamen damit schlechter zurecht als die Erwachsenen. Ich buchstabierte Dinge wie WARST DU BEIM SCHWIMMEN ? für Woody, oder HABT IHR GEWONNEN ? für Harvey.
Eines Nachmittags war ich gerade dabei, etwas für die Kinder zu buchstabieren, als es Woody zu langweilig wurde und er mit der Ungeduld eines Sechsjährigen sagte: »Warum schreibst du es nicht einfach auf?« Und er holte mir einen Stift und einen Notizblock.
Wie hätte ich ihn enttäuschen können? Also nahm ich den Stift in meine zittrige rechte Hand, während Woody
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