So nah bei dir und doch so fern
eisernen Vorsatz, wieder gesund zu werden und nach Hause zu kommen. Ich befürchtete, wenn ich mir meine Müdigkeit anmerken ließ, würden die Therapeuten den Umfang meiner Therapie zurückschrauben, was ich auf keinen Fall zulassen wollte.
Nach einem Monat wurde der Therapieplan an meinem Spind durch einen neuen ersetzt. Die Mitarbeiter des Therapie-Teams beschwerten sich häufig, sobald sie einen frischen Plan aufgestellt hätten, würde ich die Latte höher legen. Oft erweckte ich den Eindruck, als würde ich sie antreiben anstatt umgekehrt.
Bei den neuen Übungen lag ich mit einem Keil unter den Beinen auf dem Bett, bog die Zehen in Richtung des Körpers, streckte langsam mein Knie und ließ den Fuß schließlich wieder auf den Keil sinken. Den Ablauf wiederholte ich fünf Mal, dann noch einmal mit dem anderen Bein. Alles zusammen führte ich mit jedem Bein drei Mal aus. Außerdem sollte ich mich mithilfe einer anderen Person vor den Gehapparat stellen, das Gleichgewicht halten und dann meine Knie lösen und den Gehapparat loslassen. Wenn ich dies als zu einfach empfand, musste ich noch ein paar langsame Kopfbewegungen hinzufügen und die Hände mehrmals heben.
Eine weitere Übung bestand darin, mit den Fingerspitzen den Gehapparat zu berühren. Dabei beugte und streckte ich die Knie. Das wiederholte ich fünf Mal und die ganze Prozedur insgesamt drei Mal. Meine Therapeutin ermahnte mich, immer aufzuhören, falls ich schwanken oder taumeln sollte, und wenn sie dabei war, tat ich das gezwungenermaßen auch. Doch wenn ich alleine übte oder jemand aus der Familie mir half, machte ich weiter, bis ich vor Erschöpfung zitterte. All diese Übungen dienten erneut der Stärkung meiner Muskeln und der Verbesserung meiner Kondition.
Wenn irgendeine neue Übung anstand, setzte ich meine Läufer-Psyche ein, die an der Maxime festhielt, die Zielvorgabe über das Leistungsvermögen zu stellen. Ich dachte an den letzten Sommer, als ich mich für den Sheffield Halbmarathon gemeldet hatte, den ersten großen Lauf über eine längere Strecke, den ich bestreiten wollte. Mein Ziel war es, die 21,1 Kilometer in einer Stunde und vierzig Minuten zu schaffen, gute zehn Minuten schneller als meine bisherigen Bestzeiten. Mark spottete, doch an jenem Tag verlangte ich mir mehr ab und kam nach einer Stunde und achtunddreißig Minuten ins Ziel. Mir schwierige und herausfordernde Ziele zu setzen, steckt mir im Blut, und bei der Therapie war es nicht anders.
Im August begann ich zu lernen, mich selbst anzuziehen, eine langwierige und umständliche Aufgabe. Bislang hatte ich weite Kleidung getragen, Trainingshosen mit Gummizug im Bund und schlabbrige T-Shirts, alles äußerst unvorteilhaft, aber praktisch für meine PEG . Mit der Hilfe einer Schwester brauchte ich mehr als eine Stunde, um mich anzuziehen. In mein Top zu kommen, war bereits ein Theater, da ich meine Bewegungen noch nicht so weit unter Kontrolle hatte, dass ich das T-Shirt über den Kopf heben konnte. Die Hose überzustreifen, war ebenfalls harte Arbeit, weil mir das Gleichgewicht fehlte, aufzustehen und in sie hineinzusteigen, auch war ich nicht beweglich genug, mich auf die Bettkante zu setzen und die Hose über meine Füße zu ziehen. Folglich brauchte ich immer Hilfe.
Das Zubinden meiner Schnürsenkel aber war die härteste Aufgabe. Meine Finger waren so ungeschickt, dass jedes Mal, wenn ich versuchte, mit dem Senkel eine Schlaufe zu formen, diese wieder aufging. Ich benötigte fünf Stunden, um meinen ersten Schnürsenkel zu binden. Ich erinnere mich noch, wie ich Stunde um Stunde mit Oliver im Schwesternzimmer saß, mit meinem Turnschuh auf dem Schoß, und wie ich an den Schnürsenkeln herumgefummelt und innerlich geflucht habe. Doch wie immer gab ich nicht auf, bis ich das verdammte Ding zugebunden hatte.
KAPITEL 29
Schubkarren und Freundschaft
W ie bereits erwähnt, hielt ich mich sehr gerne im Garten des Krankenhauses auf. Es verschaffte mir ein Gefühl der Freiheit, und die frische Luft war eine willkommene Abwechslung zum stickigen Klima auf der Station. Solange es mir noch richtig schlecht ging, musste ich immer in einer Wolldecke bis zur Nasenspitze verpackt sein, doch eine frische Brise auf meinem Gesicht zu spüren, erinnerte mich daran, im Freien zu sein und zu laufen. Ich wäre glücklich gewesen, wenn man mein Bett auf Dauer nach draußen gestellt hätte.
Der Garten von Osborn 4 war nichts Besonderes. Es gab eine Terrasse, die zu einer schmutzigen
Weitere Kostenlose Bücher