So nah bei dir und doch so fern
nie vergessen, wie sie strahlten, als sie mich in meinem Rollstuhl entdeckten, nachdem sie »lediglich« die Oma erwartet hatten.
Jeder gemeinsam mit den Kindern verbrachte Tag verstärkte das Gefühl, wieder so etwas wie eine Mutter zu sein. Mitte Juli gab es zum Abschluss des Schuljahrs zwei wichtige Veranstaltungen, und ich war froh, dass es mir körperlich gut genug ging, an beiden teilzunehmen.
Das erste Großereignis war Woodys Sportfest, das zuweilen etwas chaotisch ablief. In diesem Jahr jedoch klappte alles wie am Schnürchen. Mark holte mich am Krankenhaus ab, und mit unseren Klappstühlen, Picknickdecken und Lebensmittelkörben ging es ab zum Sportplatz. Wir erweckten fast wieder den Eindruck einer normalen Familie, als Mark meinen Rollstuhl auf den Platz schob und wir uns mit unseren Freunden vom Schülerlauf auf den Weg machten. Ich sah, wie Woodys Mannschaft beim Wettkampf mit den aufblasbaren Hüpfbällen zum Sieg hüpfte.
Als die Zeit für den Mütterlauf kam, hätte ich alles dafür gegeben, daran teilnehmen zu können, statt nur zuschauen zu dürfen. Woody aber fand es toll, dass ich da war. Er saß den Großteil des Nachmittags auf meinem Schoß, was für uns beide zwar nicht sonderlich bequem war, aber dafür sorgte, dass wir uns nahe waren.
Meine Anwesenheit bei Indias Schulabgängerkonzert war weniger erfolgreich. India wechselte nach den Ferien von der Grundschule in die Gesamtschule, und um dieses Ereignis zu würdigen, veranstaltete die Schule jedes Jahr ein Konzert, mit dem die Schüler verabschiedet wurden. Für India und Alisons Tochter Charlotte war dies eine große Sache, da sie beide zu den Abgängern gehörten und bei dem Konzert mitsangen. Marks Eltern saßen im Publikum, ebenso Alison und Anita, deren Kinder gleichfalls beteiligt waren.
Alison schob mich in die Aula, stellte meinen Rollstuhl am Ende einer Reihe ab und setzte sich neben mich. Mittlerweile wussten die meisten Leute in der Schule von meiner Situation und akzeptierten meine Behinderung, sodass ich mich in deren Gesellschaft wohlfühlte.
Der Vorhang ging auf, im Saal wurde es still, die Musik setzte ein und das Konzert begann. Alisons Tochter betrat mit ihrer Klasse die Bühne und wollte zu singen beginnen. Plötzlich gab es ein Geräusch im Saal, und alles schaute in meine Richtung. Es hörte sich an, als imitiere jemand den Esel aus den Shrek -Filmen. Der Jemand war ich. Genau in dem Moment, als Charlotte den Mund öffnete, hatte Alison mir zugeflüstert: »Ich weiß nicht, warum Charlotte das macht. Die kann doch überhaupt nicht singen.«
Sicher war es kindisch, aber ich konnte nicht aufhören zu lachen. Anita, die in meiner Nähe saß, war entsetzt. Marks Eltern in der Reihe dahinter schämten sich zu Tode. India, die in der Seitenkulisse saß und nervös auf ihren Auftritt wartete, wollte vor Verlegenheit im Boden versinken. Und je mehr ich versuchte, mein Lachen zu stoppen, desto lauter wurde das Wiehern. Und je lauter ich wieherte, desto mehr musste Alison lachen. Allerdings waren wir die Einzigen, die sich amüsierten.
Am Ende musste Anita Alison und mich voneinander trennen, indem sie sich zwischen uns setzte, als seien wir ein Paar ungezogene Schulmädchen. Als das Konzert endete, war India den Tränen nahe und weigerte sich, mit mir zu reden.
»Du hast mir das ganze Konzert kaputt gemacht. Ich habe mich so geschämt«, warf sie mir auf der Rückfahrt zum Krankenhaus vor. Ich versuchte, mich zu entschuldigen. Alison bat für mich um Verzeihung, doch nichts half, India schmollte. Als wir im Krankenhaus ankamen, wandte sich Alison an die Schwestern: »Können Sie Kates Lautstärke bitte etwas herabstellen? Sie hat sich heute Nachmittag fürchterlich blamiert.« Es sollte ein Scherz sein. India fand es trotzdem nicht lustig.
Nachts musste ich immer noch über das Konzert lachen. Seit dem Schlaganfall hatte ich nicht mehr so herzhaft und viel gelacht. Ich fühlte mich besser und gleichzeitig schuldig. Ich schrieb India eine Nachricht und entschuldigte mich bei ihr in der Hoffnung, sie habe mir bereits verziehen, wenn ich sie am Wochenende sehen würde. Sie verzieh mir.
Mit jedem Ausflug wuchs das Gefühl, unabhängiger zu werden. Nach einer Weile schaffte ich es, länger als die ursprünglich wenigen Stunden vom Krankenhaus wegzubleiben. Ohne Hilfe konnte ich immer noch nur ein paar Schritte machen, doch ich war in der Lage, mein Körpergewicht aus dem Rollstuhl in einen Autositz zu wuchten, und es
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