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So nah bei dir und doch so fern

So nah bei dir und doch so fern

Titel: So nah bei dir und doch so fern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Allatt
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war die Lust vergangen. Ich dachte: Was bringt’s denn schon, wenn ich ja doch nie wieder ins normale Leben zurückkehren werde?
    Anita, meine Mutter und meine anderen Freundinnen überhäuften mich mit Besuchen, doch ich hatte keinen Bock auf Small Talk. Meine Mutter war so besorgt, dass sie sich an die Psychotherapeutin wandte, die versuchte, mich meine Depression von der Seele reden zu lassen.
    »Was fehlt Ihnen?«
    Das war einfach: Meine Familie und meine Fitness.
    »Wo wären Sie jetzt lieber?«
    Ich sagte, ich wäre gerne hoch oben im Peak District und würde über die Reitwege laufen, wie ich es in meinem alten Leben regelmäßig getan hatte. Die Psychotherapeutin meinte, es wäre vielleicht hilfreich, wenn sie mir eine Meditations- CD zusammenstellen würde. Sie erzählte vom Peak District und nahm das Ganze auf. Mit ihrer freundlichen, beruhigenden Stimme beschrieb sie den Ausblick auf die Dörfer, die Gerüche der Landschaft und den Adrenalinstoß beim Bergablaufen.
    Eine Stunde lang saß ich im Bett und lauschte, während ihre Stimme mein Bewusstsein erreichte und wieder davonhuschte, und ich stellte mir vor, wie ich über die Hügel stampfte. Ich wurde ruhiger und fühlte mich besser. Allerdings nur so lange, bis sie darauf bestand, ich solle es mir jeden Tag anhören, bis es mich nur noch langweilte. Schließlich quälte mich die verfluchte Meditations- CD so sehr, dass ich sie in die hinterste Ecke meines Spinds pfefferte.
    Irgendwann besserte sich meine Stimmung, und ich stürzte mich mit neuer Energie in meine Therapie. Ich war entschlossen, Mark jetzt erst recht einen Fortschritt zu präsentieren, wenn er aus dem Urlaub zurückkam. Ich meldete mich bei jeder denkbaren Gruppe an, einschließlich Buchclub und Musiktherapie.
    In der Musiktherapie fühlte ich mich wie ein Volltrottel, wenn ich mit dem Kopf wackeln musste, um ein Tamburin im Takt eines zuvor aufgezeichneten Musikstücks zu schlagen, oder wenn ich mit einem Laserstrahl auf einem Keyboard spielen sollte, indem ich den Strahl durch Kopfbewegungen unterbrach. Immerhin aber kam ich durch diese mir sinnlos erscheinenden Übungen für eine Stunde pro Woche aus der Station raus.
    Der Buchclub wurde von einer ehrenamtlichen Person von außerhalb geleitet, die einmal pro Woche für jene Patienten in Osborn 4 kam, die Bücher lesen und darüber diskutieren konnten.
    In meinem früheren Leben war ich gerne zum Literaturkreis gegangen, der eher etwas von einer Schwatzbude an sich hatte als von einem literarischen Zirkel. Wir waren zehn bis zwölf Mitglieder, alles Mütter, die sich abwechselnd in einer ihrer Wohnungen trafen. Wir stimmten über ein Buch ab, das wir alle lesen wollten, manchmal war es ein Kriminalroman oder eine Lebensgeschichte. Einen Monat später diskutierten wir über das Buch. Allerdings muss ich zugeben, dass die Auseinandersetzung mit dem Gelesenen höchstens zehn Minuten in Anspruch nahm; der Rest des Abends gehörte dem Wein und dem Gejammer über unsere Kinder und Ehemänner.
    Während meiner Zeit im Krankenhaus wurde der Literaturkreis für Alison, Jaqui und Anita jedoch bedeutsam, denn sie benutzten ihn als das, was er sein sollte – ein Forum für die Diskussion über Bücher. Sie wählten Berichte von anderen Schlaganfall-Patienten, Schmetterling und Taucherglocke von Jean-Dominique Bauby sowie In einem Augenblick von Hasso und Catherine von Bredows. Beide Bücher wirkten allerdings deprimierend auf meine Freundinnen, denn die Autoren erholten sich nicht von ihrem Locked-in-Syndrom und starben.
    Andererseits entwickelten sie Verständnis für die Frustrationen eines Locked-in-Syndrom-Patienten. Durch die Lektüre und anschließende Besprechung dieser Bücher im Literaturkreis gewannen sie praktische Erkenntnisse für den Umgang mit mir und meiner Situation. Als ich noch auf der Intensivstation lag und unfähig war, zu kommunizieren, erhielten sie durch diese Bücher den Impuls, das Blinzeln und die Schmerztafel vorzuschlagen, damit ich mich irgendwie ausdrücken konnte.
    Auch ich las Baubys Buch Schmetterling und Taucherglocke , das Alison mir mit einer vorsichtigen Empfehlung überreicht hatte. Die Tragödie des französischen Journalisten, der wie ich in seinem Körper gefangen war, erschütterte mich zutiefst. Der Autor erholte sich nie von einem Zustand, den er so beschrieb, als befände er sich in einem altmodischen Taucheranzug mit einer kupfernen Taucherglocke, während sein Geist frei wie ein Schmetterling

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