So nah bei dir und doch so fern
in den Kopf, dass Sie dermaßen verantwortungslos sind!«, schimpfte er. »Wissen Sie überhaupt, in welche Gefahr Sie sich und Dave gebracht haben? Was wäre passiert, wenn Sie gefallen wären? Einmal ausgerutscht, und all die tollen Fortschritte, die Sie gemacht haben, wären zum Teufel gewesen …«
Er hielt mir eine lange Standpauke, die ich wie ein kleines ungezogenes Gör einfach abblockte. Ich hatte es geschafft, und ich war stolz darauf. Eine Woche später brachten mich der Drill-Sergeant und meine Ergotherapeutin zu mir nach Hause, und ich machte eine offizielle Treppenbesteigung.
Dieser erste genehmigte Gang die Treppe hinauf geschah langsam und wohlüberlegt. Ich benutzte eine Krücke, um meine linke Körperhälfte zu stützen, und hielt mich mit der stärkeren rechten Hand am Treppengeländer fest. Der Physiotherapeut legte seine Hände auf meine Taille und gab mir zusätzlichen Halt. So machte ich einen Schritt nach dem anderen, zunächst zögerlich, doch dann mit wachsendem Selbstvertrauen, je näher ich dem Ende der Treppe kam.
Die Kleinigkeit von vier Stufen in Osborn 4 hatte ich drei Mal bewältigt, daher war ich zuversichtlich, die Treppe bezwingen zu können. Aber als meine Therapeuten und Mark jetzt zuschauten, wuchs in mir die Angst vor dem Scheitern. Doch ich schaffte es. Abends waren Mark und ich alleine und absolvierten den abschließenden Aufstieg.
Nachdem einmal akzeptiert worden war, dass ich das Treppensteigen beherrschte, hatte ich den Kampf gegen das neue Badezimmer gewonnen. Doch die nächste Auseinandersetzung stand schon bevor. Mark und die Ergotherapeuten waren sich einig, dass wir das Badezimmer zu einer Nasszelle mit Dusche umbauen sollten, um mir den Zugang zu erleichtern. Dafür sollte das übriggebliebene Geld des Wohltätigkeitsrennens eingesetzt werden. Die Logik dieser Maßnahme leuchtete mir ein, nur wollte ich nicht hinnehmen, wie lange es dauern würde.
»Ich habe einen Installateur gefunden, der die Arbeiten übernimmt«, verkündete Mark eines Abends und schaute selbstzufrieden drein. Schließlich war es kein gewöhnlicher Auftrag, und es hatte ihn Mühe gekostet, einen Handwerker zu finden, der bereit war, so ein ausgefallenes Projekt anzugehen. »Aber er sagt, dass wir drei Monate warten müssen, bis das notwendige Material beschafft ist.«
Das brachte mich nicht weiter, denn ich wollte verzweifelt nach Hause. Und wieder waren sich Mark und die Therapeuten einig, es sei besser für mich, im Krankenhaus zu warten, als in eine Baustelle zu ziehen.
»Such jemand anderen, der es schneller macht«, hielt ich dagegen, da ich immer ungeduldiger wurde.
»Ich habe es doch versucht, Kate. Ich bin die Gelben Seiten komplett durchgegangen – keiner der hiesigen Installateure packt es an. Dieser hier ist ein Spezialist, er weiß, was er tut. Ehrlich, Kate, ich unternehme alles, um es so schnell wie möglich erledigt zu bekommen«, sagte Mark.
Niemand schien Verständnis für meine Eile zu haben. In meinem Verfolgungswahn dachte ich schon, Mark wolle mich gar nicht zu Hause haben, und die Erinnerung an das Erlebnis nach der ersten Begutachtung verfolgte mich. Schließlich gelang es Mark, den Installateur dazu zu überreden, Termine hin und her zu schieben und Druck auf die Zulieferer auszuüben, dass sie unseren Auftrag vordringlich behandeln sollten, und endlich konnten die Arbeiten beginnen. Für meinen Geschmack ging es allerdings immer noch viel zu langsam.
Auf meiner Facebook-Seite schrieb ich:
Es ist gemein, dass man mich nicht nach Hause zu meiner Familie lässt, weil wir ein neues Badezimmer bekommen. Ich weiß, dass Mark es gut meint, aber es ist trotzdem ungerecht.
Während der Kampf zu Hause weiterging, durchlief ich im Krankenhaus ein Training für Erwachsene, um wieder trocken zu werden. »Flip flowing« nannte sich die Trainingsmethode, mit der die Muskeln in der Blase wieder an ihre Arbeit gewöhnt werden sollten, was bei Erfolg zur Entfernung des Katheters führen würde. Nach fast acht Monaten der Nichtbenutzung waren die Muskeln natürlich erschlafft.
Das Ganze spielte sich folgendermaßen ab: Per Schalter stoppten die Schwestern den Urinfluss in den Katheterbeutel, was zur Folge hatte, dass sich Urin in meiner Blase sammelte. Nach einer gewissen Zeit öffneten die Schwestern den Schalter wieder, damit der Urin in den Beutel abfloss. Zuweilen entstand dabei eine Art »Bypass«-Effekt, und der Urin sickerte am Rand des Schlauchs vorbei. Ich spürte
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