So nah bei dir und doch so fern
zwar, wenn das geschah, konnte aber nichts dagegen unternehmen. Diese Prozedur wurde einen Monat lang fortgesetzt, mit einer Steigerung von einer halben auf vier Stunden, und in dem Maße, wie meine Muskeln kräftiger wurden und die Beweglichkeit des rechten Arms zunahm, war ich bald sogar selbst in der Lage, den Urinfluss an- und abzustellen.
Als es mir gelang, den Harn vier Stunden zu halten, erlaubten mir die Schwestern, auf die Toilette zu gehen. Parallel dazu trainierte ich, meinen Darm zu benutzen, was allerdings wie bei einem Kleinkind zu mehr Unfällen als Erfolgen führte. Mein Körper musste von neu auf lernen, die Signale für einen drängenden Toilettenbesuch zu erkennen. Danach ging es darum, schnell genug dorthin zu gelangen und die Hose herunterzuziehen, bevor es zu spät war.
Das Erreichen der Toilette erforderte die Hilfe von zwei Schwestern, die mich in meinen elektrischen Rollstuhl hievten, sodass ich alleine zum Toilettenraum fahren konnte, wo sie mir wieder aus dem Rollstuhl heraushalfen. Das Ganze war also ein langwieriger Prozess, und ich schaffte es nicht immer rechtzeitig. Glücklicherweise versorgten mich die Schwestern mit dicken Einlagen, um das Schlimmste zu verhindern.
Eines Nachmittags saß ich auf meinem Bett und übte dieses »Flip flowing«, als mir der Gedanke kam, es wäre lustig, Alison die Nachricht zu schicken: »Nenn mich Tena Lady.«
»Ich denke nicht daran, dich Tena Lady zu nennen«, kam die prompte und knallharte Antwort. Alison fand es nicht spaßig, dass ich mich über mich selbst lustig machte.
Durch den Katheterschlauch gerieten mein eigener Fahrplan und der Zeitplan der Ärzte erneut in Konflikt. Nachdem ich regelmäßig die Toilette benutzt hatte, wollte ich, dass der Katheter entfernt wurde. Er war ein äußeres Zeichen für meine Krankheit, und ich brauchte ihn nicht mehr. Die Schwestern hingegen sahen keinen Grund für die Eile, denn für sie war es bequemer, mich nicht alle paar Stunden zur Toilette bringen zu müssen.
Das Glück stand mir zur Seite, als sich die Entfernung des Katheters eines Sonntagabends zufällig ergab, weil eine Schwester Medikamente in meine PEG injizierte und dabei den Schlauch versehentlich rauszog. Es brannte teuflisch, doch ich beschwerte mich nicht. Das verfluchte Ding war draußen, und so sollte es auch bleiben. Die Schwester gestand dem Abteilungsleiter, was passiert war, und der wollte, dass der Schlauch wieder eingesetzt wurde.
»Nichts da!«, sagte ich. »Ich gehe auf die Toilette.«
Es folgten viele unruhige Nächte und zahlreiche durchnässte Einlagen, als meine Blase auf die Probe gestellt wurde. Selbst meine Mutter ist immer noch davon überzeugt, ich habe den Schlauch selbst rausgezogen. Doch ich war es wirklich nicht. Es war ein Unfall.
Ich brauchte länger als einen Monat, bis es mir gelang, jedes Mal rechtzeitig die Toilette zu erreichen. Der Tag, an dem mir erlaubt wurde, mich von den Windeln zu verabschieden und Unterhosen zu tragen, war ein großer Sprung nach vorn. Ohne diese voluminösen Einlagen fühlte ich mich schlanker und freier.
Eine andere große Auseinandersetzung hatte ich mit meiner Ernährungsberaterin, einer pingeligen Frau, die sich als Paragrafenhengst gerierte. Unser Verhältnis bekam nach einer schmerzhaften Darmverstopfung einen gewaltigen Knacks, als sie einfach nicht akzeptieren wollte, dass die von ihr verordnete Diät dazu beigetragen hatte, während ich fest davon überzeugt war.
Sie bestand darauf, ich solle an Gewicht zulegen, indem mir statt normalem Essen weiterhin flüssige Nahrung zugeführt wurde. Das vollzog sich nachts, wenn ich an einen Tropf angeschlossen wurde, über den wertvolle Kalorien in meine PEG flossen. Auf diese Weise kollidierte der Einsatz des Tropfs nicht mit meinen Therapiestunden.
Ich bekam nicht ein einziges Mal normales Essen zu normalen Essenszeiten, und meistens war mir das auch egal, denn meine Familie und die Freundinnen waren nie so taktlos, in meinem Beisein zu essen. Nur ein Mal wurde es zu einem Problem, als Mark direkt von der Arbeit zu mir kam und gerade eine Tüte Chips verspeist hatte. Sein Atem roch dermaßen penetrant nach Käse und Zwiebeln, dass mir plötzlich klar wurde, wie sehr ich meine heiß geliebten Salt and Vinegar Chips vermisste.
Für mich war die PEG das letzte unübersehbare Zeichen, das mich zur Invaliden machte. Nachdem die Versuche mit dem Löffel und dem Wasser erfolgreich verlaufen waren, beschloss ich, jetzt sei es Zeit
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