So nah bei dir und doch so fern
In der Zwischenzeit fühlte ich mich wie eine Figur aus Tom und Jerry mit einem Loch in der Mitte.
Ich erinnere mich noch daran, dass ich im Krankenhaus sogar um eine Bluttransfusion kämpfen musste, als ich feststellte, dass ich anämisch war. Während meiner Periode waren die Blutungen immer stärker geworden. Seit der Geburt von India litt ich fortwährend unter heftigen Menstruationen. Wenn es ganz schlimm wurde, musste ich mehrere Tage zu Hause bleiben, da ich mich nicht traute, vor die Tür zu gehen. Manchmal raubte es mir jede Energie, doch ich hatte mehr als zehn Jahre damit gelebt, und als voll funktionstüchtige, körperlich gesunde Frau meisterte ich die Lage. Als ich jedoch auf die Schwestern angewiesen war, die mir meine blutigen Einlagen wechseln mussten, fiel die Sache auf.
An jenem bewussten Tag kam »Sara klein« zu mir, um meine Windeln zu wechseln, und sie bekam einen gehörigen Schrecken, als sie die Unmengen Blut sah, die ich verloren hatte.
»Mein Gott, Kate! Sie sehen ja aus, als wären Sie überfallen worden!«, rief sie aus, während sie mich säuberte.
Es war hochgradig peinlich. Nach einer medizinischen Untersuchung wurde beschlossen, mir eine Spirale einzusetzen, um den Blutfluss zu kontrollieren. Also wurde ich in die gynäkologische Abteilung des Krankenhauses gebracht, wo man den Eingriff vornahm. Der erhoffte Effekt stellte sich auch ein, denn ab diesem Zeitpunkt waren meine Perioden schwächer und leichter zu handhaben. Dennoch fühlte ich mich nicht wohl. Meine ohnehin reduzierte Kraft verließ mich so schnell, dass ich eines Morgens meine Physiotherapie auslassen musste, weil ich einfach zu erschöpft war.
Ich kannte meinen Körper, und ich hatte das Gefühl, dass etwas nicht stimmte. Als Mark mich besuchte, bat ich ihn, mir einen Spiegel zu reichen. Ich betrachtete mich, zog das untere Augenlid herunter und erschrak, als ich dort weiße durchsichtige Haut statt gesunder, rosafarbener Arterien entdeckte.
Nachdem Mark nach Hause gegangen war und die Station ihre Besuchertüren geschlossen hatte, fuhr ich zur Schwesternrezeption, um den Schwestern meine Entdeckung zu zeigen. Anschließende Bluttests ergaben, dass ich unter schwerer Blutarmut litt. Der Wert meiner roten Blutkörperchen betrug sechs, zwölf hätten es sein müssen. Jede noch so große Menge Eisentabletten hätte nicht gereicht, die Anzahl schnell genug zu erhöhen, daher ordnete »Ming, der Gnadenlose« eine Bluttransfusion an.
An und für sich hätte das keine große Sache sein dürfen angesichts all dessen, was ich schon mitgemacht hatte. Als der Nachtdienst der Abteilung mir aber eröffnete, innerhalb von zwanzig Jahren noch keine Bluttransfusion durchgeführt zu haben, wurde ich nervös. Glücklicherweise wurde beschlossen, die Transfusion könne bis zum nächsten Morgen warten, dann würde eine Schwester von der Blutbank den Kolleginnen zeigen, was zu machen sei.
Am nächsten Morgen, als ein Liter gespendetes Blut in meine Venen tropfte, musste ich an all die schrecklichen Geschichten denken, die ich in den Nachrichten über mit HIV und Hepatitis infiziertes Blut gehört hatte, das man Patienten mit Bluterkrankheit gegeben hatte, und Panik erfasste mich. Doch es half alles nichts, ich brauchte das Blut, und die Transfusion wirkte hervorragend.
Während ich beobachtete, wie das fremde Blut in meinen Körper floss, dachte ich an einen Filmabend, den Alison, India und ich gemeinsam verbracht hatten. India schleppte ihren Lieblingsteil der Twilight -Serie an, und wir drei ließen uns im Besucherzimmer nieder. Das konnte zwar das Kuscheln auf dem heimischen Sofa nicht ersetzen, aber es war doch eine willkommene Abwechslung zum Aufenthalt auf der Station.
Bevor sie die DVD in den Player schob, sagte India: »Es ist ein Film über Vampire, Mama. Weißt du, was Vampire sind?«
Alison sprang mir schnell zur Seite und meinte: »Natürlich weiß sie, was Vampire sind. Deine Mutter hat zwar einen Schlaganfall gehabt, aber deswegen ist sie doch nicht blöd.«
KAPITEL 34
Für ein Wochenende zu Hause
I ch hatte mich so darauf gefreut, meine erste Nacht zu Hause zu verbringen, ohne Pflegepersonal und die Krankenhaus-Routine. Ich wollte in meiner eigenen Umgebung sein, wollte meine eigenen Regeln aufstellen, lange aufbleiben, essen wann und was ich wollte. Doch schon kurz nachdem ich zu Hause angekommen war, musste ich feststellen, zu welchem Dampfdrucktopf unser Familienleben durch den Stress geworden war. Harvey
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