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So nah bei dir und doch so fern

So nah bei dir und doch so fern

Titel: So nah bei dir und doch so fern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Allatt
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und Woody betrieben ihre alten Spielchen, ewiger Kampf und Streit, immer noch genauso wie vor acht Monaten, als ich mich verabschiedet hatte. Mark schimpfte mit ihnen, sie sollten sich gefälligst benehmen. Meine Güte, dachte ich, bin ich hier etwa auf einem Kriegsschauplatz gelandet?
    Ohne meinen Katheter konnte ich die Toilette wie ein normaler Mensch benutzen, doch aufgrund meiner langsamen Bewegungen, die Mark oft mit denen eines Roboters verglich, musste ich im Voraus planen, damit ich mich nicht in Verlegenheit brachte und plötzlich ganz dringend musste. Neben der Küche befand sich eine kleine Toilette, auf die man ein Gestell für mich gebaut hatte, das um das Klo passte und es mir ermöglichte, mich auf den Sitz niederzulassen. Dennoch benötigte ich Marks Hilfe, um mir die Hose runterzuziehen und mich sachte auf den Sitz zu setzen. Sobald ich einmal saß, war alles gut, nur Mark kam nicht zur Ruhe, da er ständig Angst hatte, ich könne das Waschbecken dazu benutzen, mich daran hochzuziehen und aufzustehen, obwohl er mir gesagt hatte, ich solle es nicht tun. Daher schwirrte er ständig vor der Tür herum, was die Toilettenaufenthalte nicht gerade entspannter machte.
    Später abends setzten wir uns vor den Fernseher, um im Familienverbund das Samstagabendprogramm zu genießen. Woody schmiegte sich dicht an mich, um sich die Liebkosungen abzuholen, auf die er fast acht Monate hatte verzichten müssen.
    »Ich habe dich so vermisst, Mama«, flüsterte er mir ins Ohr und schlang seinen Arm vorsichtig um meinen Körper. Er hatte Angst, er könne mich verletzen, oder noch schlimmer, versehentlich meine PEG herausziehen, über die doch meine Medikamente in den Magen geleitet wurden. Unser Kuscheln war aber nicht von langer Dauer, denn genau zum falschen Zeitpunkt begannen meine Beine zu zucken.
    Pünktlich um 19.00 Uhr erwischte mich ausnahmslos jeden Abend ein Zucken und Stechen in den Beinen, auch bekannt als Restless-Legs-Syndrom ( RLS ). Es stellte sich erstmals bei mir ein, als ich einige Monate vor der Niederkunft mit India stand, und danach wieder, als ich mit Harvey und Woody schwanger war. Damals konnte ich wenigstens herumlaufen, um es etwas erträglicher zu machen. Jetzt ging man davon aus, meine ruhelosen Beine seien ein weiteres Symptom der Unterbrechung meiner Nervenbahnen im Gehirn, die normalerweise für geschmeidige Muskelbewegungen sorgten. Die Ironie wollte es, dass das Leiden im Locked-in-Zustand noch unerträglicher wurde, da ich das Bett nicht verlassen und im Zimmer herumlaufen konnte. Zusammen mit meiner üblichen Schlaflosigkeit sorgte das im Krankenhaus für viele lange und lästige Nächte.
    Ich hatte gehofft, zu Hause endlich davon befreit zu werden, doch es sollte nicht sein. Ich konnte nicht sitzen bleiben und fernsehen, daher ging ich früh zu Bett und legte mich schlafen. Mark half mir die Treppe hinauf, wie er es auch schon unter der Woche getan hatte, als das Physiotherapeuten-Team ihn unterstützte. Jetzt waren wir auf uns selbst gestellt, aber wir machten unsere Sache ziemlich gut.
    Das Zubettgehen verlangte wie so vieles einige Vorbereitung. Wie im Krankenhaus musste ich meine Flüssigkeitsaufnahme regulieren. 19.30 Uhr war der letzte Zeitpunkt für eine Tasse Tee. Es mag so aussehen, als sei ich von der Toiletten-Problematik besessen gewesen – stimmt, das war ich. Ohne eine Schwester am anderen Ende eines Rufknopfs fühlte ich mich verletzbar und ängstlich.
    Weil sich unser Schlafzimmer sechsunddreißig Treppenstufen hoch auf dem Dachboden befand, hatten Mark und ich beschlossen, in Harveys Zimmer im ersten Stock zu schlafen, das nur fünfzehn Stufen über dem Erdgeschoss lag, und Harvey bekam dafür unser Bett. Als mein Kopf an diesem ersten Abend das Kopfkissen berührte, überkam mich ein Gefühl der Ruhe und Erleichterung. Die Weichheit eines Federkissens, der Geruch eines frisch gewaschenen Bezugs aus Baumwolle anstelle des steifen, gestärkten Krankenhausdings; selbst das Gefühl, meinen Körper von einer Daunendecke umspielen zu lassen, statt der straff gezogenen Krankenhausbettdecke, war ein Genuss.
    Daran könnte ich mich gewöhnen, und zwar ziemlich schnell, dachte ich, als ich in den tiefsten Schlaf sank, den ich erlebt hatte, seit ich aus dem Koma erwacht war.
    Für Mark wurde es eine weit weniger bequeme Nacht. Aus Angst, zu mir herüberzurollen und mich zu verletzen, schlief er nur leicht und blieb auf seiner Seite.

    Während meiner Ergotherapie-Stunden

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