So nah bei dir und doch so fern
Geschäftsmann in Dore gewesen, sehr bekannt und geachtet in der Dorfgemeinschaft. Bis zu diesem Moment hatte ich mir noch keine Gedanken darüber gemacht, wie ich darauf reagieren würde, dem Tod wieder so nahe zu sein. Als wir in der Kirche saßen und darauf warteten, dass der Gottesdienst begann, tippte mir ein Dorfbewohner auf die Schulter und fragte, wie es mir ginge.
»Es geht mir gut«, sagte ich mit meiner langsamen Schlaganfall-Stimme.
Und dann, völlig unmotiviert, begann ich zu lachen. In diesem Moment setzte die Musik aus, weil die Organistin in ihrem Notenbuch umblättern musste, und jeder konnte mein Eselslachen hören. Ich schämte mich entsetzlich. Ich wusste, dass es unpassend war, aber es war ein nervöses Lachen, und ich konnte mich nicht dagegen wehren.
Als der Sarg in die Kirche gebracht wurde, brach ein abscheuliches Geräusch wie ein Schrei aus mir heraus. Später hatte ich das Gefühl, mich bei Alison für etwas entschuldigen zu müssen, das wie Respektlosigkeit gegenüber ihrer Familie erschienen haben musste, obwohl es lediglich Ausdruck meiner Unsicherheit angesichts der Beerdigung gewesen war. Ich hatte nicht erwartet, dermaßen bewegt zu sein, während ihrem Vater die letzte Ehre erwiesen wurde. Doch als ich auf den Sarg blickte, der aufgebahrt zwischen den Kränzen stand, stellte ich mir vor, ich selbst läge darin. Ich sah einen imaginären Kranz, eine Urne mit Mama darauf, daneben standen ein untröstlicher Mark, India, Harvey und Woody. Tränenüberströmt schaute ich mich zu den Gesichtern der Trauergemeinde um und fragte mich, wer wohl zu meiner Beerdigung erschienen wäre.
KAPITEL 35
Ich weiß, dass ich keine gute Patientin bin
Z wei Wochen vor meiner Entlassung aus dem Krankenhaus bekam ich die abschließende Beurteilung meiner Therapie-Ergebnisse. Darin stand:
Mrs Allatt bewies enorme Standhaftigkeit, ihre Rehabilitation nach einer zunächst schlechten Prognose zu ihrer momentan beträchtlichen Genesung voranzutreiben. Allerdings neigte sie durch ihren Elan auch dazu, unnötige Risiken einzugehen und gelegentlich die Ratschläge der Therapeuten zu ignorieren, was künftig überwacht werden muss, solange ihre Fortschritte dadurch nicht ungerechterweise eingeschränkt werden.
Da hatte ich es also schwarz auf weiß: Ich war keine gute Patientin. Das wusste ich bereits, aber wie schon gesagt, war mir das schnuppe. Auf Facebook schrieb ich:
Ich bin nicht impulsiv. Ich gehe nur wohlüberlegte Risiken ein.
Niemand kannte meinen Körper so gut wie ich. Die ganzen Ärzte, Schwestern, Pfleger und Therapeuten mögen Jahre der medizinischen Ausbildung hinter sich gebracht, Fallstudien, biologische und physiologische Literatur gebüffelt haben, mich kannten sie deshalb noch lange nicht. Ich hatte vierzig Jahre in meinem Körper verbracht, ich wusste, auf welche Signale ich achten musste, wenn ich krank war, wie bei der Blutarmut-Geschichte, und ich wusste auch, wie viel Training und Übungen mein Körper mitmachte, was immer weit über dem Durchschnitt lag. Ich war kein Literaturfall. Ich verlangte nicht nach einer speziellen Therapie, aber ich wollte als Individuum behandelt werden, worin die Wurzel vieler meiner fortwährenden Kämpfe mit dem Pflegepersonal lag.
Innerhalb von Tagen nach meiner Verlegung nach Osborn 4 war ich bereits als jemand verschrien, der sich nicht an die Regeln hielt, nachdem man mir einen in Apfelsaft getunkten Schwamm zum Lutschen gegeben hatte, um meinen Mund zu erfrischen. Weil es mir noch so schlecht ging, durfte ich keinerlei Flüssigkeit zu mir nehmen, doch eine Schwester hatte Mitleid mit mir und meinem ausgetrockneten Mund, holte einen Karton mit Apfelsaft, tauchte den Schwamm hinein und betupfte damit meine Zunge, um die abgestandene Trockenheit zu beseitigen.
Das war eine wahre Wohltat, und die Schwester hatte sich kaum umgedreht, als Alison auch schon damit fortfuhr, mir den Saft einzuflößen. In null Komma nichts war der Karton leer. Ich hatte den Saft in die Lunge laufen lassen, obwohl er nur den Mund von innen erfrischen sollte. Die Schwestern mussten den Lungensauger herbeischaffen, um den Saft herauszupumpen, und danach war Schluss mit dem Schwamm.
Dies war das erste der vielen Privilegien, die ich missbrauchte. Als ich zu Beginn meines Aufenthalts in Osborn 4 ins Freie geschoben werden durfte, forderte ich meine Besucher jedes Mal auf, mit mir die Begrenzung der Station und des Gartens zu verlassen. Ich erinnere mich noch, in welche
Weitere Kostenlose Bücher