So nah bei dir und doch so fern
hatte mich meine Therapeutin darauf vorbereitet, unabhängig zu werden. Es ging um ganz einfache Dinge des Lebens, die wir als selbstverständlich betrachten, wie eine Tasse Tee zubereiten oder Plätzchen backen. Dieser Unterricht, der in einer kleinen Küche innerhalb der Station über Osborn 4 stattfand, machte unheimlich Spaß, als ich wieder lernte, den Wasserkocher anzustellen, ohne mich zu verbrühen, und Plätzchen nach Rezept zu backen.
Das war eine völlig neue Welt für mich, da ich mich mein ganzes Leben lang nie an Rezepte gehalten habe. Ich bin eher der Typ Köchin, die mit viel Gottvertrauen etwas in die Schüssel wirft und hofft, dass das Ergebnis allen schmeckt. Mit dieser Methode bin ich immer gut gefahren, besonders bei meinen Müsliriegeln, die der ganze Stolz des Lehrer-Eltern-Ausschusses gewesen waren.
Während meine Therapeutin Mehl und Zucker gewissenhaft abwog, mischte ich die Zutaten auf gut Glück – mit zweifelhaftem Erfolg. Meine Scones waren lecker, aber die Müsliriegel erwiesen sich als absolutes Desaster. Wahrscheinlich haben wir sie zu lange im Backofen gelassen, jedenfalls waren sie steinhart. Nach dem Backen räumten wir auf, und ich probierte meine Plätzchen, die ein Gedicht waren. Die Reste nahm ich für meine Besucher mit auf die Station.
Das Ganze erinnerte mich an jene Zeit, als ich eines Tages nach dem Hauswirtschaftslehre-Unterricht nach Hause kam und meiner Mutter und Dave eine zu Holzkohle verbrannte Kreation vorsetzte, die ihr Leben einmal als Apfelstreusel begonnen hatte.
Habe gerade Plätzchen gebacken und abgewaschen. Soll aber nicht zur Gewohnheit werden, schrieb ich nach einer dieser Stunden auf Facebook.
An anderen Tagen kochten wir eine Suppe, die ich auch aß. Eigentlich sollte ich das nicht, aber meine Therapeutin hatte es aufgegeben, mich daran zu hindern, da ich sowieso immer häufiger machte, was ich wollte.
An meinem ersten Wochenende zu Hause konnte ich meine in der Krankenhausküche erworbenen Kenntnisse in der Praxis erproben, als es für die ganze Familie den ersten gemeinsamen Sonntagsbraten gab. Mark bereitete das Hähnchen für den Bräter vor, India schälte Kartoffeln, Harvey zerkleinerte Brokkoli und Möhren und Woody und ich überwachten und dirigierten alles vom Rollstuhl aus.
Ich glaube fest daran, dass es für eine Familie wichtig ist, gemeinsam am Esstisch zu sitzen, weshalb es zu den Dingen gehörte, auf denen Mark während meiner Abwesenheit gegenüber den Großeltern bestanden hatte. Einfach nur an diesen Aktivitäten teilzuhaben, gab mir das Gefühl, wieder ein Mensch zu sein. Als das Essen fertig war, setzten wir uns alle um den Tisch herum und griffen zu. Meine Portion war in der Küchenmaschine püriert worden, weshalb sie wie Babynahrung aussah, aber, mein Gott, schmeckte das gut! Ich löffelte das Essen selbst und kostete jeden mit Bratensoße und Hähnchen vermengten Bissen in vollen Zügen aus. Es war ein traumhaftes Gefühl, wieder im Herzen der Familie angekommen zu sein.
Nach diesem erfolgreichen »One-Night-Stand« wurden meine Besuche bei uns zu Hause zur Regelmäßigkeit und ich durfte zwei Nächte lang bleiben. Diese Ausflüge waren dazu gedacht, mir zu mehr Unabhängigkeit zu verhelfen und meiner Familie einen Geschmack davon zu geben, was sie bei meiner endgültigen Rückkehr erwartete. Nach einigen Wochen hatte ich größeres Selbstvertrauen gewonnen. Innerhalb der Station wurde ich in ein Einzelzimmer verlegt, mit eigenem Waschbecken und Kleiderschrank. Es lag weiter vom Schwesternzimmer entfernt und es bedeutete, dass der Tag meiner Entlassung näher rückte.
Während dieser Genesungsphase erhielt ich die traurige Nachricht, dass Alisons Vater gestorben war. Im Mai hatte Alison mir erzählt, dass man einen Gehirntumor bei ihm entdeckt hatte. Über die Dauer meiner Rehabilitation hinweg hatte sie mich immer wieder fröhlich und optimistisch gestimmt, während sie gleichzeitig mit ihrer eigenen persönlichen Tragöde zurande kommen musste. Alison und ihr Vater hatten sich sehr nahegestanden, und es erschütterte mich, dass ich körperlich nicht imstande war, ihr meine Schulter anzubieten, um sich daran auszuweinen, als sie es am nötigsten brauchte. Aus Loyalität und als Beistand für Alison wollte ich aber unbedingt an der Beerdigung teilnehmen.
Am Tag der Beisetzung brachte mich eine Freundin von Alison in meinem Rollstuhl zur Kirche von Dore. Das Gotteshaus war voll – Alisons Vater war ein ehemaliger
Weitere Kostenlose Bücher