So nah bei dir und doch so fern
um den Schwung zu erhalten.
• Wecken Sie keine falschen Hoffnungen, aber sorgen Sie dafür, dass der Patient hoffnungsvoll ist. Negative Einstellung ist lähmender als der eigentliche Schlaganfall.
KAPITEL 36
Ich stehe in Marks Schuld
W enn ich für die Schwestern und Pfleger als Patientin auch das Schreckgespenst schlechthin war, so konnten sie sich am Ende des Tages wenigstens nach Hause aufmachen und abschalten. Mein Lieblingspfleger Oliver erzählte mir später, in all seinen Jahren im Pflegedienst habe er keinen anderen Patienten mit so viel Energie und Entschlossenheit angetrieben, wieder gesund zu werden, wie mich. Für den armen Mark gab es keine Erholungsphase von meinen permanenten Forderungen; er war mein Sprachrohr. Ganz egal, wie unvernünftig ich sein mochte, er durfte es mir nicht sagen. Er saß zwischen den Stühlen.
Als ich wollte, dass mir der Trachi rausgenommen wurde, war es Mark, von dem ich verlangte, er solle losmarschieren und es fordern. Nach Vollendung der Mission kam er an mein Bett geschlichen und wich meinem Blick aus, weil er wusste, dass mich das »Nein« maßlos ärgern würde.
Auch hinter den Kulissen bekam Mark von allen Seiten Druck. Die Ärzte erklärten, sie hätten zu große Bedenken, den Trachi jetzt schon zu entfernen, da es keine einfache Sache sei, ihn wieder einzusetzen, falls es mit der Atmung nicht klappte. Im Ernstfall würde dies eine größere Operation erforderlich machen, und die Risiken überstiegen den möglichen Nutzen bei Weitem. Mark konnte ihrer Logik folgen, doch er hatte keine Chance, mich zur Einsicht zu bringen.
Ich kenne meinen Körper, warum hört denn niemand auf mich?,
schrieb ich wütend.
Es gab keine einfache Antwort. Ich wusste immer, wann Mark eine schlechte Nachricht für mich hatte, denn dann war er ungewöhnlich ruhig. Rückblickend sehe ich ein, dass er sich in einer unmöglichen Position befand, doch damals dachte ich nur: Weshalb zeigst du nicht etwas mehr Rückgrat?
Ähnlich war es, als ich wollte, dass mir die PEG entfernt wurde und Mark mal wieder als Blitzableiter für meine Frustration herhalten musste. Später gestand er mir, es habe jedes Mal so gewirkt, als sei alles, was er tat, falsch gewesen. Er befand sich in einer Situation, in der es für ihn nichts zu gewinnen gab. Selbst so etwas Simples wie die Bitte, eine Schwester zu holen, um mir den Speichel aus dem Mund abzusaugen, wurde zum Streitpunkt. Ich forderte ihn auf, sich eine Schwester zu schnappen, und er stiefelte los.
»Die sind alle mit anderen Patienten beschäftigt«, erklärte er, als er zurückkam. »Aber in ein paar Minuten ist eine hier.«
»Ich will auf der Stelle eine Schwester! Du bist keine Hilfe für mich!«, lautete meine Antwort.
Er seufzte und machte sich erneut auf den Weg, um vielleicht doch noch jemanden vom Pflegepersonal aufzutreiben.
Als ich über Facebook zu kommunizieren begann, meldete sich Mark ebenfalls dort an, damit er während der Arbeit mit mir in Kontakt bleiben konnte. Doch auch das endete mit Tränen, da ich online weiter mit ihm stritt. Wir wurden zur lebenden Seifenoper, und manche Bekannte gaben später zu, sie hätten unsere öffentlich ausgetragenen Ehekräche genüsslich verfolgt.
Es heißt, man verletze immer genau denjenigen, den man liebt, und das war mit Mark gewiss der Fall. Meine Wut und die ganze Frustration, die sich in mir aufstauten, weil ich mein Leben in diesem Krankenhauskäfig fristen musste, entluden sich auf ihm. Jeder Mann mit weniger Charakterstärke hätte vermutlich kapituliert und wäre gegangen. Mark blieb. Während der schlimmsten Phasen saugte er alles in sich auf wie ein Schwamm, hielt schlechte Prognosen von mir fern und sorgte für Zusammenhalt innerhalb des Familienverbandes. Er drückte sich nicht ein einziges Mal vor seinem abendlichen Besuch, sondern setzte eine tapfere Miene auf und machte weiter. Zu Hause erwartete ihn Ärger mit meiner Mutter, die sehr häufig Partei für mich ergriff, doch Mark ließ sich nicht unterkriegen. Er glaubte immer, aus gutem Grund so zu handeln, wie er es tat, selbst als der Urlaub in Cornwall und die Verzögerung durch den Umbau des Badezimmers für zusätzlichen Stress sorgten.
Er bezeichnete sich selbst häufig als den Esel, der dazu da sei, die ganze Arbeit zu verrichten, wie mir die Hose hochzuziehen und die Schnürsenkel meiner Turnschuhe zuzubinden, während alle anderen ihre Besuche genießen durften.
Als ich einmal allzu unverschämt wurde,
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