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So nicht, Europa!

Titel: So nicht, Europa!
Autoren: Jochen Bittner
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von rechts oder links. Das ist gut für
     die Umwelt und gut für die Bürger.« Publizistisch betrachtet ist die EU damit in gewisser Weise ein Opfer ihres eigenen Erfolges.
     Gute Nachrichten, lehrt eine alte Journalistenregel, sind keine Nachrichten.
    Man mag dieses Gesetz für zynisch halten, aber es ist erklärbar. Die kognitive Psychologie kennt das Phänomen als »rationale
     Ignoranz«. Seine Wurzeln liegen in der Evolutionsgeschichte. Weil die Aufmerksamkeit von Menschen begrenzt ist, ist es im
     Interesse des Überlebens angezeigt, die Sinne auf potenzielle Gefahren zu konzentrieren. Was nicht bedrohlich wirkt, wird
     ausgeblendet. Hübsche Wiesenblümchen sind schön. Aber wer dauernd auf sie starrt, übersieht womöglich den lauernden Säbelzahntiger.
     
    Die freiwillige Unwissenheit, die viele Bürger gegenüber der EU an den Tag legen, ist also zu einem bestimmten Grade nachvollziehbar.
     Wenn der Aufwand, um einen Sachverhalt zu durchschauen, für eine erfolgreiche Bewältigung des Alltags weder notwendig erscheint
     noch damit in Einklang zu bringen wäre, was soll dann die Zeitverschwendung? Einfacher gesagt: Warum sollte man sich damit
     beschäftigen, wie ein Auto funktioniert, solange es läuft? (Weil kleine Fehlerchen im Motor irgendwann zu großem Ärger und
     hohen Kosten führen könnten, darum, ließe sich entgegnen. Aber wer ist schon Spezialist genug, so etwas vorauszusehen?)
    Den ohnehin komplexen Apparat moderner nationaler Staatsführung mögen die Bürger – jedenfalls in seinen Grundzügen –noch einigermaßen begreifen. Die EU fügt dem dummerweise eine Ebene hinzu, die nicht ins gewohnte dialektische Denkraster
     Regierung-Opposition-Streit-Kompromiss passt. »Hören wir doch auf, die Illusion der Bürgernähe der EU zu erzeugen«, sagt ein
     deutscher Europaabgeordneter nach diversen Wahlkampfreden auf den Marktplätzen der Republik. »Das führt bei den Leuten nur
     zu Frust.«
    Dass es sehr wohl anders geht, ja anders gehen muss, glaubt einer der journalistischen Hauptversorger von Brüssel. Udo van
     Kampen, 61, ist für viele Deutsche das Gesicht der EU.   Der Pfälzer mit der markant grauen Haartracht leitet das ZD F-Studio , das nur wenige Hundert Meter von der Place Schuman in einem Altbau untergebracht ist. Vier Redakteure liefern von hier aus
     Beiträge in die Mainzer Sendezentrale – fast jeden Tag ist einer von ihnen auf Sendung. »Früher waren wir hier nur zu zweit«,
     erzählt van Kampen über seine erste Entsendung nach Brüssel. Von 1985 bis 1993 war er zum ersten Mal hier stationiert, danach
     folgte New York. Seit ein paar Jahren berichtet van Kampen wieder aus der E U-Welt . Der Posten gefalle ihm, sagt er, denn: »Brüssel ist heute ein hochpolitischer Job. Früher ging es vor allem um Stahl, Kohle,
     Landwirtschaft und Binnenmarkt. Das hat sich völlig verändert.«
    Wenn bloß die Zuschauer die neue Wichtigkeit Brüssels besser begreifen würden. In den Feinanalysen der Einschaltquoten zeigt
     sich immer wieder, dass die Deutschen wegzappen, sobald ein Beitrag der »heute«-Sendung mit blauen Flaggen oder der Glasfassade
     des Berlaymont beginnt. Weil aber gleichzeitig die Macht der E U-Ebene zunimmt, sieht sich das öffentlich-rechtliche ZDF – anders als die Privatsender, die keinen einzigen dauerhaften Korrespondenten
     in Brüssel unterhalten – in der Pflicht, die Vorgänge angemessen zu verfolgen. In Sendezeit gemessen, steht die Bedeutung
     des Studios Brüssel an dritter Stelle aller ZD F-Aus landsbüros . 2009 summierten sich die Schaltungen und Berichte aus der E U-Hauptstadt auf immerhin 49   Stunden und 23   Minuten. Davor lagen nur London mit 55   Stunden und 23   Sekunden (was Insider auf den »Royal-Effekt« zurückführen, also die Vorliebe der Zuschauer für schmucke Storys aus dem Königshaus)
     sowie Washington mit 61   Stunden und 56   Minuten (was allerdings die Berichterstattung über die Wahl und Amtsübernahme von Barack Obama einschloss). Die gute Platzierung
     des Brüsseler Studios könnte mit der neuen Strategie zusammenhängen, die van Kampensich und seinen Kollegen verordnete, als er auf den Posten des E U-Korrespondenten zurückkehrte. Sie lautet: »Wir müssen die Leute bei einem Bezug vor Ort abholen.«
    Wenn die Verbraucherminister der EU über Sicherheitsstandards für Elektroprodukte beraten, schickt van Kampen seine Kameraleute
     nicht in die Konferenzflure des Ratsgebäudes, sondern in ein TÜ V-Labor . Der
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