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So nicht, Europa!

Titel: So nicht, Europa!
Autoren: Jochen Bittner
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Journalismus in Brüssel und in den Hauptstädten Europas. In Berlin,
     London oder Madrid wissen Politiker, dass sie für jedes ihrer Worte von der Bevölkerung in Haftung genommen werden können.
     Im Brüsseler Politikgeschäft ist diese Abhängigkeit kaum zu spüren. Seine Elite repräsentiert zu wenig den Bürger. Und zu
     sehr eine andere Elite. »Ein Kommissar hat keine Angst vor schlechter Presse«, erklärt ein langjähriges Mitglied der Kommission
     die Schwierigkeit, Brüsseler Akteure publizistisch zu kontrollieren. »Er hat Angst vor dem Unmut seines oder anderer Regierungschefs.«
    Was wäre zum Beispiel, wenn ein Journalist herausfände, dass es ganz konkret der ungarische Agrarminister im Zusammenspielmit dem maltesischen Fischereikommissar gewesen war, der das Hobbyangeln an Teichen und Seen an E U-Regularien binden wollte? Ein deutscher, französischer oder italienischer Korrespondent in Brüssel könnte die Männer natürlich in Grund
     und Boden schreiben. Aber was könnte er sich davon versprechen? Würde ihm die Heimatredaktion überhaupt den Spaltenplatz geben,
     um sich über zwei völlig unbekannte Politiker aus entlegenen Ländern zu erregen? Und selbst wenn ja: Würden die Leser die
     Geschichte interessant finden (oder eher fragen, was mit dieser Zeitung los ist)? Und selbst wenn noch mal ja: Welche Möglichkeit
     hätten die deutsche oder die französische Öffentlichkeit dann, dafür zu sorgen, dass dieser Minister und dieser Kommissar,
     die ihnen das Angeln vermiesen, nicht wieder gewählt werden? Gar keine.
    Die traditionellen Mechanismen der demokratischen Kontrolle funktionieren im europäischen Raum bestenfalls eingeschränkt.
     Aus Sicht jedes einzelnen E U-Bürgers ist an jeder Brüsseler Entscheidung eben nicht nur der
eine eigene
Vertreter beteiligt, sondern noch mindestens 26 andere, die er weder kennt noch gewählt hat noch abwählen kann. Es mangelt
     an einer nachvollziehbaren Legimationskette zwischen Bürgern und politischen Entscheidern. Diese Verdünnung der Verantwortlichkeit
     schwächt die Macht der Medien. Weil in Brüssel die erste Gewalt nicht, wie von zu Hause gewohnt, die
Legislative
ist, sondern weil sie sich aus den
Exekutiven
vieler Länder zusammensetzt, ist die vierte Gewalt, die der Presse, wie unter einem Eierschneider dividiert. Ratsarbeitsgruppen,
     Ministertreffen und E U-Gipfel bilden eine (professionell gedolmetschte) Expertenöffentlichkeit, für die es in der Medienlandschaft keine institutionelle
     Entsprechung gibt. Und deswegen kein gesundes Gegengewicht.
     
    Aber in Deutschland sieht es doch nicht anders aus!, lautet eine bisweilen gehörte Entgegnung auf diese Analyse. Auf das Stimmverhalten
     der hessischen Vertreter im Bundesrat kann doch auch kein Bürger in Schleswig-Holstein Einfluss nehmen – und wer weiß schon,
     welche Diskussionen und Deals es zuvor in Hinterzimmern gegeben haben mag? Natürlich funktioniert Politik in föderal verfassten
     Staaten in gewisser Weise ähnlich wie auf der Brüsseler Ebene. Und doch besteht ein wesentlicher Unterschied zum EU-»Föderalismus«.
     Die Landesvertreter im Bundesrat wissen im Gegensatz zu den Staatenvertretern in Brüssel, dassihr Verhalten immer auch einer gemeinsamen Bundespartei zugerechnet wird. Über deren Stärke und Schicksal stimmen regelmäßig
     alle Deutschen ab – in Baden-Württemberg genauso wie in Schleswig-Holstein. Als sich Günther Oettinger, noch als Stuttgarter
     Ministerpräsident, in einer Trauerrede auf seinen Vorgänger Hans Filbinger im Ton vergriff, wurde er zu einer Belastung für
     die CD U-Chefin Merkel. Und wenn der Kieler FD P-Frontmann Wolfgang Kubicki den FD P-Vorsitzenden Westerwelle kritisiert, löst das bundesweite Schlagzeilen aus. Landespolitiker sind in Deutschland immer auch Teil der nationalen
     Öffentlichkeit.
    Auf der europäischen Ebene hingegen wird das Fehlverhalten eines spanischen Konservativen im Brüsseler Parlament keineswegs
     zugleich der Bündnispartei CDU zugerechnet – geschweige denn, dass ein Liberaler aus Schweden auf die Idee käme, die Europapolitik
     der deutschen FDPler zu kritisieren. Nicht, dass solche grenzüberschreitenden Gefechte nicht wünschenswert wären. Aber nüchtern
     betrachtet, muss man konzedieren: Der E U-Par lamentarismus stützt sich auf eine politische Gemeinschaftsidee, die bis auf Weiteres nichts als eine Fiktion ist.
    Bundeskanzlerin Angela Merkel hat die EU einmal als »Ord nungsrahmen «
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