So nicht, Europa!
Beitrag in der »heute«-Sendung beginnt dann mit einem Fön, der Feuer fängt. »Da sagt sich der Zuschauer natürlich: Oh,
das sieht aber gefährlich aus.« Sobald van Kampen ihn damit geködert hat, kann er das Wort »EU« in den Mund nehmen. Damit
Ihnen so etwas nicht zu Hause passiert, führt der Korrespondent nach dem Anfangsschocker sanft hinein in die Sphäre der Bürokraten,
hat man in Brüssel entschieden, neue Sicherheitskennzeichen für Elektroprodukte einzuführen …
Viele ZD F-Berichte zur EU sind mittlerweile Gemeinschaftsproduktionen aus Inlandsstudios und dem Brüsseler Büro. Wenn die Landwirtschaftsminister
planen, die Agrarsubventionen neu zu ordnen, machen sich Reporter auf zu einem Bergbauern im Allgäu und zu einem Boss eines
industriellen Ex-LP G-Betriebes in Sachsen-Anhalt, um die unterschiedlichen Folgen zu verdeutlichen. Als der Rat die Richtlinie zur Spielzeugsicherheit verabschiedete,
filmten die ZD F-Leute Kleinkinder, die sich Bauklötze in den Mund steckten. Als das E U-Parlament für niedrigere Roaming-Gebühren sorgte, zeigten sie eine hübsche junge Dame mit Handy vor dem Schiefen Turm von Pisa. Dieses
journalistische Format entspricht genau der Verschränkung aus Innen- und Gemeinschaftspolitik, für das die moderne EU immer
mehr steht.
Und trotzdem, sagt van Kampen am Kaffeetisch seines hellen Altbaubüros, »muss man hier schon kämpfen.« Er wirft einen vielsagenden
Blick aufs Telefon und lächelt. »Auch wenn die Kollegen in Mainz schon mal sagen, der Udo nervt wieder.« An der Wand seines
Büros hängt ein mächtiges, leicht gebogenes Stahlsegel. Es ist ein Teil der alten Außenhaut des Atomiums. Vielleicht, sagt
van Kampen, brauche man einfach ein wenig Enthusiasmus, um als Journalist in Brüssel zu arbeiten. Der ZD F-Veteran besitzt ihn. Er nennt sich einen »überzeugten Europäer«.
Das hält van Kampen freilich nicht davon ab, ein Strukturdefizit des Brüsseler Betriebes zu kritisieren. »Es findet einfach
keine Debatte statt über europäische Themen. In Deutschland hat jeder Hinterbänkler eine Meinung zur Gesundheitsreform und
gibt sieauch kund. Die Tendenz in Europa ist anders. Es fehlt an einer echten Opposition, weswegen über Gesetzesentwürfe zu selten
eine begleitende Diskussion zustande kommt. Am Ende fühlen sich die Bürger dann vor vollendete Tatsachen gestellt – mal wieder
überrumpelt von der EU.«
Anders als auf dem nationalen Spielfeld, mangelt es in Brüssel in der Regel an prominenten Politikern, die solche Debatten
befeuern würden. Das führt zu einem weiteren journalistischen Problem. In den Hauptstädten sind es die Generalsekretäre oder
Talkshow-Matadore, die das Geschäft der Zuspitzung und Verdeutlichung betreiben. Journalisten müssen dann oft nur noch markige
Zitate von Regierungs- und Oppositionspolitikern gegenüberstellen – und fertig ist das Drama. In Brüssel gibt es keine solchen
Gladiatorenkämpfe. Die dortigen Journalisten bleiben deshalb mit einer (wenngleich oft unbewussten) Doppelrolle zurück. Sie
verspüren nicht nur den Drang, zu berichten, sondern auch die von der Politik verpasste Pflicht nachzuholen, den Kampf um
Sinn und Unsinn von E U-Regularien zu eröffnen. Um den Leser zu packen, sind sie deshalb bisweilen versucht, die Sachverhalte ein wenig »aufzusexen«. Die Absicht
dahinter, nämlich gegen die Windstille anzukämpfen und wenigstens die Relevanz von 10 Prozent aller E U-Themen zu verdeutlichen, mag nobel sein. Doch gerade gute Absichten produzieren oft Fehler.
Das Brüsseler Büro einer großen deutschen Tageszeitung schien eines Tages beispielsweise einmal eine richtig gute Geschichte
am Wickel zu haben. »Die EU« enthüllte sie ihren Lesern in empörtem Tonfall, habe vor, künftig die Fänge von Hobbyanglern
in die nationalen Fischquoten miteinzubeziehen. Sportfischer an Flüssen und Seen müssten sich darauf gefasst machen, bald
jeden Aal und jeden Karpfen, der ihnen an den Haken geht, der Fischereibehörde zu melden. Ein klassischer Fall von überdrehtem
E U-Beamtentum , wie es schien. Bloß, die Berichterstattung war schlicht falsch. Die Agrarminister der E U-Staaten hatten lediglich darüber beraten, die zum Teil beträchtlichen Fänge von kommerziellen Touristen-Hochseekuttern auf die Quoten
anzurechnen. Doch da in dem Artikel kein Beteiligter falsch zitiert worden war, fühlte sich auch keiner zuständig, der Interpretation
der
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