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So nicht, Europa!

Titel: So nicht, Europa!
Autoren: Jochen Bittner
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Beitrag in der »heute«-Sendung beginnt dann mit einem Fön, der Feuer fängt. »Da sagt sich der Zuschauer natürlich: Oh,
     das sieht aber gefährlich aus.« Sobald van Kampen ihn damit geködert hat, kann er das Wort »EU« in den Mund nehmen. Damit
     Ihnen so etwas nicht zu Hause passiert, führt der Korrespondent nach dem Anfangsschocker sanft hinein in die Sphäre der Bürokraten,
     hat man in Brüssel entschieden, neue Sicherheitskennzeichen für Elektroprodukte einzuführen   …
    Viele ZD F-Berichte zur EU sind mittlerweile Gemeinschaftsproduktionen aus Inlandsstudios und dem Brüsseler Büro. Wenn die Landwirtschaftsminister
     planen, die Agrarsubventionen neu zu ordnen, machen sich Reporter auf zu einem Bergbauern im Allgäu und zu einem Boss eines
     industriellen Ex-LP G-Betriebes in Sachsen-Anhalt, um die unterschiedlichen Folgen zu verdeutlichen. Als der Rat die Richtlinie zur Spielzeugsicherheit verabschiedete,
     filmten die ZD F-Leute Kleinkinder, die sich Bauklötze in den Mund steckten. Als das E U-Parlament für niedrigere Roaming-Gebühren sorgte, zeigten sie eine hübsche junge Dame mit Handy vor dem Schiefen Turm von Pisa. Dieses
     journalistische Format entspricht genau der Verschränkung aus Innen- und Gemeinschaftspolitik, für das die moderne EU immer
     mehr steht.
    Und trotzdem, sagt van Kampen am Kaffeetisch seines hellen Altbaubüros, »muss man hier schon kämpfen.« Er wirft einen vielsagenden
     Blick aufs Telefon und lächelt. »Auch wenn die Kollegen in Mainz schon mal sagen, der Udo nervt wieder.« An der Wand seines
     Büros hängt ein mächtiges, leicht gebogenes Stahlsegel. Es ist ein Teil der alten Außenhaut des Atomiums. Vielleicht, sagt
     van Kampen, brauche man einfach ein wenig Enthusiasmus, um als Journalist in Brüssel zu arbeiten. Der ZD F-Veteran besitzt ihn. Er nennt sich einen »überzeugten Europäer«.
    Das hält van Kampen freilich nicht davon ab, ein Strukturdefizit des Brüsseler Betriebes zu kritisieren. »Es findet einfach
     keine Debatte statt über europäische Themen. In Deutschland hat jeder Hinterbänkler eine Meinung zur Gesundheitsreform und
     gibt sieauch kund. Die Tendenz in Europa ist anders. Es fehlt an einer echten Opposition, weswegen über Gesetzesentwürfe zu selten
     eine begleitende Diskussion zustande kommt. Am Ende fühlen sich die Bürger dann vor vollendete Tatsachen gestellt – mal wieder
     überrumpelt von der EU.«
     
    Anders als auf dem nationalen Spielfeld, mangelt es in Brüssel in der Regel an prominenten Politikern, die solche Debatten
     befeuern würden. Das führt zu einem weiteren journalistischen Problem. In den Hauptstädten sind es die Generalsekretäre oder
     Talkshow-Matadore, die das Geschäft der Zuspitzung und Verdeutlichung betreiben. Journalisten müssen dann oft nur noch markige
     Zitate von Regierungs- und Oppositionspolitikern gegenüberstellen – und fertig ist das Drama. In Brüssel gibt es keine solchen
     Gladiatorenkämpfe. Die dortigen Journalisten bleiben deshalb mit einer (wenngleich oft unbewussten) Doppelrolle zurück. Sie
     verspüren nicht nur den Drang, zu berichten, sondern auch die von der Politik verpasste Pflicht nachzuholen, den Kampf um
     Sinn und Unsinn von E U-Regularien zu eröffnen. Um den Leser zu packen, sind sie deshalb bisweilen versucht, die Sachverhalte ein wenig »aufzusexen«. Die Absicht
     dahinter, nämlich gegen die Windstille anzukämpfen und wenigstens die Relevanz von 10   Prozent aller E U-Themen zu verdeutlichen, mag nobel sein. Doch gerade gute Absichten produzieren oft Fehler.
    Das Brüsseler Büro einer großen deutschen Tageszeitung schien eines Tages beispielsweise einmal eine richtig gute Geschichte
     am Wickel zu haben. »Die EU« enthüllte sie ihren Lesern in empörtem Tonfall, habe vor, künftig die Fänge von Hobbyanglern
     in die nationalen Fischquoten miteinzubeziehen. Sportfischer an Flüssen und Seen müssten sich darauf gefasst machen, bald
     jeden Aal und jeden Karpfen, der ihnen an den Haken geht, der Fischereibehörde zu melden. Ein klassischer Fall von überdrehtem
     E U-Beamtentum , wie es schien. Bloß, die Berichterstattung war schlicht falsch. Die Agrarminister der E U-Staaten hatten lediglich darüber beraten, die zum Teil beträchtlichen Fänge von kommerziellen Touristen-Hochseekuttern auf die Quoten
     anzurechnen. Doch da in dem Artikel kein Beteiligter falsch zitiert worden war, fühlte sich auch keiner zuständig, der Interpretation
     der
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