So nicht, Europa!
Zeitung (Angler müssen Fangbuch führen) zu widersprechen. Die Meldung blieb in der Welt.
Ein ähnlicher Fall ist der des angeblich von der EU vorgeschriebenen Salzgehaltes für Brot. Nachdem mehrere Zeitungen berichtet
hatten, »Brüssel« plane deutsches Vollkornbrot und Brezen zu verbieten, weil sie einen zu hohen Salzanteil besäßen, ereiferte
sich vor allem die CSU über das vermeintliche Vorhaben. Ihre Vertreter versprachen eilends die Rettung des traditionellen
deutschen Bäckerhandwerks. Tatsächlich hatten sich die E U-Mitgliedstaaten in der so genannten Health-Claims-Verordnung lediglich darauf geeinigt, dass Lebensmittelhersteller die Verbraucher nicht
mehr mit falschen Gesundheitsversprechen in die Irre führen sollten. Ein Verbot von bestimmten Salzkonzentraten war zu keiner
Zeit geplant. Es ging nur darum, die Kennzeichnung von stark salz- oder fetthaltigen Nahrungsmitteln als »gesund« zu unterbinden.
Die Legende, die letztlich in der Öffentlichkeit hängen blieb, ging weit über die eigentliche Regelungsabsicht hinaus.
Die absolut berechtigte Frage hinter diesen Einzelfällen lautet natürlich, ob solche Regelungen angemessene Aufgaben für die
Europäische Union darstellen. Der eigentliche Missstand, den sie veranschaulichen, besteht darin, dass die Brüsseler Institutionen
sich auf eine Weise kleinlich verhalten, die der möglichen Größe dieser politischen Instanz nicht gerecht wird.
Gerade wegen der Konfliktarmut in der E U-Hauptstadt sind die Massenmedien anfällig dafür, zu wenig Sach- und zu viel Skandalberichterstattung aus der E U-Hauptstadt zu leisten. Natürlich gibt es Korruption, Vetternwirtschaft, Manipulation und Fehlentscheidungen im Brüsseler Kosmos. Aber
diese Defizite konnten erst dadurch so sprichwörtlich für Brüssel werden, weil »Brüssel« sich allzu leicht gleichsetzen lässt
mit einer unsichtbaren Kaste von Apparatschiks. Weil die Vorwürfe in aller Regel eine anonyme Masse von Bürokraten treffen
statt Individuen und weil Skandalisierungen so gut wie nie politische Konsequenzen zeitigen, verlangt E U-Kritik in der Regel Gratismut. Der Ruf der Eurokraten kann – sei es durch Journalisten oder nationale Politiker – beliebig ruiniert
werden, denn ein Sumpf, der als Sumpf beschrieben wird, wehrt sich nicht. Gegendarsteller, die aus der Anonymität des Apparates
herausträten, liefen nur Gefahr, damit gleichsam die Verantwortung auf sich zu ziehen – wenn nicht gar den aufgestauten Volkszorn.
Das Ergebnis: Ungenauigkeiten bleiben in der Welt, und das Imageproblem der EU wächst und gedeiht.
Wie lässt sich dieser Teufelskreis durchbrechen? Wie lässt sich die EU entanonymisieren, verfolgbarer und zurechenbarer machen?
Gar nicht, fürchtet einer, der eigentlich genau dafür sorgen sollte. Axel Heyer, Pressesprecher der ALD E-Fraktion (Allianz der Liberalen und Demokraten für Europa) im Europäischen Parlament, sitzt an der Place Luxembourg und trinkt einen
Kaffee. Das macht er öfter mit seiner Kundschaft, mit Journalisten aus Deutschland und anderen Ländern. Die europäische Sache
liegt dem gebürtigen Kölner am Herzen, man merkt das. Er arbeitet seit Jahren hier, kennt den Betrieb in- und auswendig. »Die
EU wird immer ein Raumschiff bleiben«, sagt Heyer. »Sie muss abgehoben sein. Ich meine, immerhin hat sie die Aufsicht über
27 Staaten auszuüben. Das menschelt nicht. Allerdings muss das Raumschiff besuchbar bleiben. Und ihr Journalisten müsst den Funkverkehr
abhören können.«
Solche Einblicke sind natürlich möglich. Sie geschehen jeden Tag. Wer sich die Mühe macht, europäische Qualitätszeitungen
wie ›Le Figaro‹, ›Financial Times‹, ›FAZ‹ oder ›Süddeutsche Zeitung‹ nach E U-Themen zu durchfräsen, wird feststellen, dass er dort oft mehr über das Geschehen hinter den Brüsseler Kulissen erfährt als über
politische Details in seinen Hauptstädten. Die Frage ist aber, welche Folgen Berichterstattung aus Brüssel im Vergleich zu
nationalen Reportertum entfalten kann. Sicher, auch Berlin ist ein Raumschiff, aus Sicht eines Saarländers oder eines Thüringers.
Genauso wie Washington ein Raumschiff ist aus Sicht eines Texaners oder Kaliforniers. Politik wird immer von Eliten betrieben.
Das stört den Bürger auch nicht, solange er weiß und erkennt, wie die gesetzgebenden Eliten von ihm abhängig sind. Und genau
da liegt der Unterschied zwischen der Wirkung von kritischem
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