So nicht, Europa!
ließe sich dadurch denken, »wichtige Elemente aus dem
Verfahren der so genannten gleichzeitigen gegenseitigen Anerkennung für die Gemeinschaftszulassung zu adaptieren«. Nur geringfügig
mehr Leidenschaft versprüht bei anderer Gelegenheit Bundesjustizministerin Leutheusser-Schnarrenberger. Nachdem die Vorsitzende
»Sabine« aufgerufen hat, gibt die Deutsche eine kurze Stellungnahme zum Arbeitsplan für die E U-Justiz - und Innenpolitik der kommenden Jahre ab. »In aller gebotenen Kürze«, sagt Leutheusser-Schnarrenberger, wolle sie »auf einige
Punkte eingehen, mit denen wir noch Probleme haben«. So vorsichtig, so freundlich und so unkonkret wie möglich weist die Ministerin
darauf hin, dass Deutschland nicht alle angestrebten Harmonisierungen »in dieser Form mittragen« möchte. »Gerade in Deutschland
gibt es über diese Punkte im Parlament eine sehr, sehr kritische Diskussion.« In einer fast dreistündigen Sitzung kommt die
Ministerin zweimal zu Wort, für insgesamt etwa vier Minuten. Sieht so die Verteidigung deutscher Positionen aus? Nein, sagt
ein Insider, natürlich nicht. Seit die Öffentlichkeit zuschauen könne, habe sich der eigentliche Streit unter den Ministern
auf die Flure vor dem Sitzungssaal verlagert. Was während der Internet-Übertragung passiere, sei im Wesentlichen freundliches
Theater. Zur Sache gehe es weiterhin in Vier- oder Sechs-Augen-Gesprächen, unter Ausschluss der europäischen Zuschauerschaft.
Drei Stockwerke oberhalb des kamerabestückten Konferenzzimmers liegen die »Speisesäle« des Ratsgebäudes. In ihnen tagen während
des Brüsseler Normalbetriebs die wichtigsten, weil ranghöchsten Arbeitsgruppen. Wenn sich die Fahrstuhltüren auf Ebene 80
öffnen, fällt der Blick als Erstes auf ein magentafarbenes Schild, das von der Decke hängt. Es erinnert an einen O P-Wegweiser auf einer Intensivstation. »Salon 80.3.« steht darauf, daneben ein scharfer Linkspfeil. Folgt man ihm, geht es unter Neonlichtschächten
einen birkenholzgetäfelten Gang entlang. Der Fußboden ist mit empfindlichem, trittschalldämmenden beigen Teppich ausgelegt.
In quadratischen Holzkübeln fristet efeuartiges Grünzeug ein bemitleidenswertes Dasein. Flachbildschirmeneben den Eingängen der Säle weisen auf die Formationen hin, die hier tagen. »Coreper« steht auf einem von ihnen, die Abkürzung
für
Comité des représentants permanents
, oder, zu Deutsch, Ausschuss der Ständigen Vertreter. Das bedeutet, dass heute die E U-Botschafter in dem Saal zu einem Arbeitslunch zusammenkommen. In wöchentlichen Treffen bereiten Edmund Duckwitz und seine 26 Kollegen die politischen Beschlüsse vor, welche später die Minister der Mitgliedstaaten unterzeichnen sollen.
Das Sekretariat des Rates kann nicht haftbar gemacht werden für Beschädigung oder Verlust von Objekten
, warnt ein rot-weißes Schild im Vorraum des Besprechungszimmers.
Wieder lässt sich nur hoffen, dass die Gemüter der Verhandler unempfindlich sind gegen architektonische Grausamkeiten. Der
Raum ist schmal und eng, an den beiden Längsseiten erstrecken sich hinter grünlichem Glas die Kabinen der Übersetzer. Ein
Tischoval zieht sich über die gesamte Fläche, umgeben von Messingrohrstühlen mit grau-bläulichen Polstern. Die Ausstattung
erweckt den Anschein, als habe die EU sie nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion aus osteuropäischer Konkursmasse erworben.
So dicht stehen die Sitzgelegenheiten aneinander, dass die Schultern der Tischgäste sich berühren, wenn sie sich setzen. Auch
die Staatschefs werden in dieser Klause bedient, wenn sie vor oder nach ihren Treffen zum Dinieren schreiten. Der Tisch ist
schon gedeckt fürs nächste Arbeitsessen. Zwei Bestecksets, zwei Weingläser warten an jedem Platz. Passend zu den schlichten
Tischtextilien recken sich weiße Platzmikrofone über jeden Teller. Je ein Notizblock mit dem Logo der Ratspräsidentschaft
liegt ordentlich daneben. Bei Chablis und Bordeaux reden die Staatenvertreter hier über Landwirtschaftshilfen, Terrorbekämpfung
oder die Besetzung europäischer Spitzenämter.
In den beiden Etagen darunter, auf den Ebenen 70 und 60, liegen die Delegationsbüros der Mitgliedsländer. Wieder weisen strenge
Schilder neben dem Aufzugschacht die Richtungen. Platz ist nur für die Abkürzungen der Ländernamen. Für Diplomaten aus »BE
– BG – CY – SK – HU – RO – PL – LV – MT – PT – NL – DK – FI – FR – ES« geht es
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