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So nicht, Europa!

Titel: So nicht, Europa! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jochen Bittner
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gesetzt haben. »Harmonisierung«, sagt ein E U-Diplomat , »bedeutet eben auch, dass mancher auch mal Federn lassen muss.« Europas Einheitsrechtssetzung orientiert sich mit anderen
     Worten nicht immer am Bestmöglichen. Sondern am kleinsten gemeinsamen Nenner.
    Im Gesundheitsschutz und in der Rechtspolitik seien es die Deutschen, berichten Diplomaten, die die Latten für E U-Regelun gen besonders hochhängten. Nicht immer tun sie das mit Erfolg. Als es etwa darum ging, Grenzwerte für Gifte in Spielzeugimporten
     aus China festzulegen, wurden die Deutschen überstimmt. Das Ergebnis: Die nun europaweit geltende Richtlinie lässt höhere
     Giftkonzentrationen zu, als sie deutschen Standards entsprachen. Das Argument der anderen, vor allem osteuropäischen Staaten
     gegeneinen maximalen Schutz lautete, zu strenge Grenzwerte hätten die Fertigungs-, Kontroll- und Verkaufskosten unangemessen in
     die Höhe getrieben.
    Beim Datenschutz sind es ebenfalls die Deutschen, die das Fähnchen der Bürgerrechte am höchsten halten. Als es um die Speicherfristen
     von Handy-Verbindungsdaten oder um die Übermittlung von Swift-Überweisungsdetails an die Vereinigten Staaten ging, konnten
     viele andere Staaten den deutschen Wünschen nach möglichst kurzen Fristen und hohen Datenschutzanforderungen nicht recht folgen.
     Für Länder wie Großbritannien und Spanien, die schon Ziele für verheerende al-Qaida-Anschläge waren, ist eine effiziente Terrorismusbekämpfung
     der Maßstab – und die deutsche Bedenkenträgerei hinsichtlich der Datensammlung ein Rätsel. »Es gibt im Rat eine klare Mehrheit,
     die sagt: Spinnen die Deutschen?«, bekennt freimütig Bundesinnenminister Thomas de Maizière. Die Scheu vor einem informationellen
     Ungleichgewicht zwischen Staat und Bürger, das sich aus den beiden deutschen Überwachungsdiktaturen des 20.   Jahrhunderts speist, kann kaum einer der europäischen Partner nachvollziehen. »Aber wir haben nun einmal diese besondere Tradition«,
     sagt de Maizière, »es hilft nichts.«
     
    Zwar haben die großen Länder der EU größere Stimmkraft als die kleinen und damit in der Theorie mehr Einfluss. Doch in der
     Praxis der Ratsarbeitsgruppen kann diplomatisches Geschick entscheidender sein als demokratisches Gewicht. Die Stimmzahl für
     jedes Land folgt einer Punkteskala, die im Vertrag von Nizza 2001 festgelegt wurde. Eine mathematische Korrelation zur Bevölkerungszahl
     weist sie nicht auf. Deutschland bringt, bei 82   Millionen Einwohnern, 29   Punkte auf die Waagschale, ebenso wie Großbritannien, Frankreich und Italien, obwohl diese Länder wesentlich weniger Einwohner
     haben (Frankreich 61   Millionen, Großbritannien 59   Millionen, Italien 57   Millionen). Im Mittelfeld rangieren Belgien, die Tschechische Republik, Griechenland, Ungarn und Portugal mit jeweils 12   Stimmen, Schlusslicht ist Malta mit 3   Stimmen.
    »Die Verhandlungen der Staatschefs 2000 in Nizza waren grauenhaft«, sagt einer, der das Gerangel um die Stimmpunkte verfolgt
     hat. Um die Gewichtung des Einflusses sei bis zur körperlichen Erschöpfung gerungen worden. Der schwer nachvollziehbare Kompromiss,
     der bei dem Treffen herauskam, wurde erst mit dem Vertrag von Lissabon und der dort verankerten so genannten doppeltenMehrheit korrigiert. In Zukunft, präziser ab 2014, spielt die tatsächliche Bevölkerungsgröße bei der Frage, ob eine qualifizierte
     Mehrheit erreicht ist, die entscheidende Rolle. Was allerdings auch der neue E U-Vertrag nicht berücksichtigen kann, ist der menschliche Faktor, der sich in die Verhandlungsabläufe einschleicht.
    »Mit geschicktem Auftreten, langfristigem Engagement und den richtigen Allianzen ist vieles möglich«, berichtet ein Veteran
     des Rates. »Wichtig ist, sich mit den Strukturen zu verweben und persönliche Bekanntschaften aufzubauen, die Vertrauen schaffen.«
     Als Meister der Brüsseler Verhandlungskunst gelten die Luxemburger. Sie seien unübertroffen darin, »für ein kleines Land das
     Maximum herauszuholen«, sagt ein Ratsmitarbeiter. Gemeinsam mit Belgien und Österreich genoss das Großherzogtum beispielsweise
     jahrzehntelang das Privileg, die Steuergelder anderer E U-Länder aufsaugen zu dürfen, weil sein Bankgeheimnis die ausländischen Übermittler von Schwarzgeld schützte. Wie hat das winzige
     Land Luxemburg diese Bastion so lange gegen den Zorn der Großen und das Prinzip der europäischen Solidarität verteidigen können?
     Durch dreierlei,

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