So nicht, Europa!
sagen Beobachter: Intensive Pressearbeit. Ständiges freundliches Vorschützen von Kooperationsbereitschaft.
Mitleid erzeugen, um Übergangsfristen herauszuhandeln. »Einfach brillant!«, nennt der Diplomat eines großen Nachbarstaates
die Strategie der Luxemburger, zu kooperieren, charmieren und kalibrieren bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag.
Andere Länder wie etwa Polen und Griechenland gelten als hartleibig und wenig kompromissbereit. Doch Fundamentalopposition
führt in der Kosmopolis Brüssel selten zum Erfolg. Es gilt: Der Netzwerker gewinnt. Vor allem kommt es darauf an, dass sich
keine blockierenden Gruppen bilden. Je nach Gegenstand der Richtlinie können sich ad hoc ganz eigene Bündnisse bilden. »Manchmal
finden sich die klassischen Großen zusammen, also Deutschland, Frankreich und Großbritannien, manchmal zeigen sich die kleineren
Staaten völlig verbissen«, berichtet ein Beteiligter. Staatenpakte können an einzelnen Paragrafen entstehen – und zerbrechen.
»Die Vorstellung, dass es ausreicht, wenn Deutschland und Frankreich einer Meinung sind, stimmt nicht mehr.« Zwar verbindet
die beiden E U-Gründungsstaaten seit dem Freundschaftsvertrag zwischen Adenauer und de Gaulle von 1963 ein enges institutionelles Gewebe. Auch mögen sie
gewisse Gravitationskräfte entfalten, wenn sie zusammenhalten. »Aberdie geborenen Partner, die immer Hand in Hand durch Europa marschieren, die gibt es nicht«, berichtet ein Insider. Innerhalb
der Wohngemeinschaft EU mag es zwischen Deutschland und Paris also eine eheähnliche Beziehung geben – aber die schützt nicht
vor Meinungsverschiedenheiten. Gerade in der Wirtschaftspolitik tun sich immer wieder Risse auf. Beim Streit um das Rettungspaket
für den Euro soll Nicolas Sarkozy gegenüber Angela Merkel ja sogar mit Auszug aus der Wohngemeinschaft, sprich aus der gemeinsamen
Währung gedroht haben. Paris denkt, grob gesprochen, eher protektionistisch. Berlin eher liberal. Insgesamt aber sei die Stimmung
in den Brüsseler Sitzungen ausgesprochen unemotional, berichten Teilnehmer. Erhobene Stimmen? Leidenschaftsausbrüche? Daran
kann sich kaum jemand im Diplomatencorps erinnern. Vielleicht, na gut, einmal ein nicht ganz so freundlicher Blick.
Die Ratsgruppen werden von den Vertretern des Staates geleitet, der gerade die Präsidentschaft der EU innehat. Dieser Vorsitz
rotiert im Halbjahresrhythmus. Die Beteiligten sind bemüht, die alle sechs Monate stattfindenden Übergänge möglichst fließend
zu gestalten. Die jeweilige Ratspräsidentschaft arbeitet immer noch mit der Vorgängerin und immer schon mit der Nachfolgerin
zusammen. Führt Schweden (im zweiten Halbjahr 2009) also gerade die Geschäfte, begleiten die Tschechen (die im ersten Halbjahr
2009 dran waren) die Ratspräsidentschaft im Hintergrund ebenso wie die Spanier (die im ersten Halbjahr 2010 übernahmen). Der
Verwaltungsfluss Europas ähnelt einem Staffellauf. Die Sprinter laufen bei der Stabübergabe ein ganzes Stück nebeneinander
her, um nicht an Geschwindigkeit zu verlieren.
Gleichwohl pflegt jede Präsidentschaft ihre ganz besonderen Steckenpferde in Brüssel. Die Franzosen möchten gerne eine »Mittelmeerunion«
aus der Taufe heben. Den Schweden schwebt eher eine »Ostseepartnerschaft« vor. Verschiedene nationale Vorlieben oder, in anderen
Worten, Prestigeprojekte, die sich beim Wähler gut verkaufen lassen, sind ein Grund dafür, warum die Politikbilanz der EU,
wie es ein erfahrener E U-Beamter ausdrückt, »keine lange gerade Linie ist, sondern eine gezackte Kurve, in der Themen kommen und gehen, bestehen und vergehen«.
– Einen kontinuierlicheren, beständigeren Kurs der E U-Politik wünschen sich viele, die den Brüsseler Betrieb länger begleitet haben.
Dazu sollte eine der großen Neuerungen des Lissabon-Vertrages beitragen. Die Rede ist vom Posten des, wie er landläufig genannt
wird, »Europäischen Präsidenten«. Doch genau das ist der Belgier Herman Van Rompuy eben nicht. Er fungiert lediglich als Präsident
des Europäischen Rates, also der vierteljährlichen Zusammenkunft der E U-Staatschefs . Der Präsident, so möchte es der Lissabon-Vertrag, »führt den Vorsitz und gibt Impulse«. In der Praxis heißt dies, dass er
den Ministerpräsidenten bei ihrer Ankunft am Brüsseler Ratsgebäude die Hände schüttelt und sie zum Sitzungssaal geleitet.
Was dann dort drin passiert, dürfte weniger von den Impulsen des neuen
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