So nicht, Europa!
Diplomat, habe im Rat schon die bloße Androhung, einen Staat zu überstimmen. Isolation gilt als politisch
peinlich, sie muss also vermieden werden.»Im Zweifel ist man dann doch lieber dabei«, formuliert ein Ratsbeamter die vorherrschende Denkart.
Im Zweifel, bedeutet das, weicht das nationale Interesse der Gruppendynamik der Diplomatentreffen. »Im Rat entsteht so etwas
wie eine Clubatmosphäre«, berichtet ein erfahrener E U-Beamter . »Man will Verordnungen vorweisen können am Ende des Jahres. Das ist das Ziel. Und die Clubatmosphäre wird versaut, wenn
man bei seinen Positionen hart bleibt.« In Brüssel, so das Fazit des Mannes, »wird man auf Freundschaft sozialisiert«. Dieses
Zusammenhalten bedeutet auch, dass es über den Grundkurs so gut wie keinen Streit gibt. Ziel sowohl der nationalen Diplomaten
in Brüssel wie auch der allermeisten Europaabgeordneten ist eine »ever closer union«, ein immer integrierteres Europa.
Doch alle Freundschaft endet beim Geld. Traditionell brechen Kontroversen zwischen den 27 Freunden dann aus, wenn die Frage auf den Tisch kommt: Wer bezahlt das? In den bleiernen 80er- und 90er-Jahren, in denen das
Wort von der »Eurosklerose« die Runde machte, erwarb sich die Europäische Union den Ruf, im Wesentlichen als Basar zu dienen.
Franzosen, Spanier, Portugiesen und Griechen versuchten, die jeweils größten Tortenstücke für sich aus Europa »herauszuholen«.
Ein bisschen Blockade bei der Gesetzgebung, so fanden sie heraus, wurde oft mit der Zahlung von ein paar Millionen E G-Strukturfonds extra belohnt. Dieser Mechanismus des Zögerns und Nehmens funktioniert bis heute.
Zum Teil hat dies, nach der Osterweiterung der EU, gute Gründe. Für jene Länder, die in den vergangenen fünfzig Jahren Planwirtschaft
statt Wirtschaftswunder erlebt haben, sind Finanzspritzen in Einzelfällen evident gerechtfertigt. Plattenbauten gemäß der
E U-Wärmeeffizienzkriterien zu sanieren, ist schließlich kostspieliger, als westdeutsche Eigenheime mit neuen Fenstern zu versehen. Gegen Ende der Verhandlungen
im Rat wird deshalb häufig der Punkt »Unterstützungsmaßnahmen« auf die Tagesordnung gesetzt. Doch die Zahlung eben jener »Unterstützungsmaß nahmen « bleibt auch eine gängige Methode, Wackelländer auf die Seite der Jasager zu ziehen. Wenn es in den Verhandlungen so weit
ist, schielen die Ländervertreter nicht selten zum deutschen Kollegen herüber.
Schließlich ist das größte Land immer noch der solventeste »Zahlmeister« der Europäischen Union. Es ist allerdings nicht dereinzige. Im Jahr 2004, nach der Osterweiterung, bekamen 19 Mitgliedsländer der EU mehr Geld aus Brüsseler Töpfen heraus, als sie einzahlten. Die laufenden Kosten des Apparats deckten
im Wesentlichen sechs Staaten ab. Neben Deutschland waren es Frankreich, Großbritannien, Schweden, Österreich und die Niederlande.
Diese sechs Nettozahler beantragten bei der Kommission Ende 2003 eine Verringerung ihrer Beiträge von 1,24 auf 1 Prozent des Bruttoinlandseinkommens. 7,4 Milliarden Euro zahlte die Bundesregierung 2007 in den Brüsseler Haushalt ein. Statistisch kostet die E U-Mitgliedschaft jeden Deutschen also bisher 263 Euro jährlich. Das ist, zum Vergleich, ein Zehntel dessen, was jeder Bürger in den Bundeshaushalt einzahlt (2678 Euro, jeweils brutto, jeweils 2007).
Über die Zukunft des europäischen Autoreifens, um zu unserem Gesetzgebungsbeispiel zurückzukehren, wird in der Ratsarbeitsgruppe
Energie verhandelt. Die Bundesregierung unterstützt den Vorschlag für energiesparende Reifen, möchte aber, dass sie nicht
mit unzähligen Aufklebern versehen werden müssen. »Wer neue Reifen kauft, schaut sich üblicherweise nicht jeden Reifen vor
der Montage einzeln an«, lautet das Argument der deutschen Vertreterin in der Versammlung. Einige Kollegen aus anderen Staaten
runzeln die Stirn. Bei manchen von ihnen liegen Autoreifen traditionell in Ausstellungsregalen vor den Werkstätten aus. Es
sei doch sogar ein Kaufanreiz, wendet der Vertreter eines südlichen Mitgliedstaates ein, wenn der Kunde sehe, dass ein Reifen
sparsamer rolle als ein anderer. Die Vertreterin Deutschlands kontert darauf mit einer angsteinflößenden germanischen Wortschöpfung:
»Aufkleberentsorgefolgekosten«. Wieso denn, fragt sie, könnten die Hersteller die Informationen über Benzinverbrauch, Haltbarkeit
und Lärm der Reifen nicht einfach ins Internet
Weitere Kostenlose Bücher