So nicht, Europa!
Präsidenten abhängen als auch weiterhin von den Egos
der versammelten Alphatiere aus Frankreich, Deutschland, Italien oder Großbritannien.
Der Lissabon-Vertrag ist auch in diesem Punkt ambitionierter als seine Initiatoren. Die Praxis zeigt, dass die Regierungschefs
nicht geneigt sind, sich von einem Brüsseler Zeremonienmeister, wie hochtrabend seine Funktion auch formuliert sein mag, die
Butter vom Brot nehmen zu lassen.
Sie
sind es schließlich, die daheim wieder gewählt werden müssen. Herrn Van Rompuys Schicksal hingegen hängt nach zweieinhalb
Jahren wiederum nur von der Gnade der Staatschefs ab.
Entsprechende strategische Bescheidenheit haben die Kontinentaleuropäer demonstriert, als sie im November 2009 den belgischen
Ministerpräsidenten als Brüsseler Sachwalter einsetzten. Van Rompuy war eine kleine Lösung für eine große Gelegenheit. Das
auffälligste Merkmal des damals 6 1-jährigen konservativen Flamen war bis dato seine Unbekanntheit. Der praktizierende Katholik, hieß es vor der Entscheidung in europäischen
Regierungskreisen, sei uneitel, verschwiegen, zurückhaltend unter Großen. In seiner Freizeit, so sprach sich bald herum, dichte
er gerne Verse nach japanischem Haiku-Muster. Eines, das den Titel »Brüssel« trägt, geht so:
Andere Farben,
Sprachen, Türme und Götter.
Wir brüsseln weiter.
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In einem »vertraulichen Persönlichkeitsbild«, welches das Auswärtige Amt Bundeskanzlerin Angela Merkel über den damaligen
belgischen Regierungschef erstellte, hieß es: »Herman VanRompuy gilt als Ministerpräsident wider Willen. (…) Durch seine Glaubwürdigkeit und Verschwiegenheit (»die Sphinx«) hat er
sich 2007 als königlicher ›Erkunder‹ großes Vertrauen erworben. Er gilt als kompetent und durchsetzungsfähig. (…) Trotz Eloquenz
sucht er nicht die Mikrofone und das Scheinwerferlicht.« Der E U-Präsident ist in Wirklichkeit ein König Ohneland. Er soll möglichst unsichtbar bleiben und bei brisanten Fragen nach außen brav den
Mund halten. Der neue Hausherr des Justus-Lipsius-Gebäudes, sagt der liberale Brüsseler Abgeordnete Alexander Graf Lambsdorff
voraus, werde sich deshalb alsbald »unterbeschäftigt« vorkommen. »Pfusch am Bau«, lautet Lambsdorffs Fazit zu den Kompetenzregeln
des Lissabon-Vertrags. »Was Europa bekommt, dürfte ein besserer Frühstücksdirektor sein.«
Die lang ersehnte,
eine
Telefonnummer, die sich schon Henry Kissinger von Europa wünschte, liefert die Lissabon-EU also nicht. Europa beschallt die
Welt weiterhin nicht mit einer Stimme. Sondern mit einem ganzen Chor. Die beiden neuen Spitzenämter, der permanente Ratspräsident
sowie die E U-Außenministerin Catherine Ashton, bündeln nicht, wie erwartet, Europas außenpolitische Vertretungsmacht. Sie vergrößern vielmehr die Vielgesichtigkeit
der EU.
Die Verschlimmerung der Euro-Schizophrenie infolge des Vertrages von Lissabon zeigte sich Anfang 2010 in einem bizarren Vorgang
zwischen Washington, Brüssel und Madrid. Die spanische Ratspräsidentschaft plante einen EU-US A-Gipfel , zu dem sie auch Barack Obama einladen wollte. Solche Drittstaaten-Gipfel gab es schon immer im internationalen Terminkalender.
Bisher fanden sie im sogenannten Troika-Format statt. Das heißt, die EU wurde vertreten vom Hohen Beauftragten für Außenpolitik,
vom Kommissionspräsidenten sowie vom jeweiligen Land, das gerade den Ratsvorsitz innehatte. Natürlich hätte man gemäß der
Logik des Lissabon-Vertrags erwartet, dass anstelle der rotierenden E U-Geschäftsführer der neue permanente Ratspräsident Herman Van Rompuy diesen Job übernimmt. Das allerdings sahen die Spanier ganz und gar nicht
so. Ministerpräsident José Luis Zapatero wollte Barack Obama gerne in seiner Hauptstadt persönlich die Hand reichen. »Die
permanente Ratspräsidentschaft war [in die Vorbereitung des Gipfels] nie involviert«, bestätigte der Sprecher Van Rompuys,
Dirk De Backer, Anfang Februar 2010.
In Washington schüttelt man ob dieses Theaters nur den Kopf.Sowohl für Brüssel wie auch für Madrid überraschend, teilte das Weiße Haus mit, Obama werde nicht zu dem Gipfel reisen. Der
Sprecher des U S-Außenministeriums , Philip J. Crowley, begründete die Absage ausdrücklich mit der Unklarheit, welche die Lissabon-Reform geschaffen habe. Bis jetzt gab
es alle sechs Monate ein Treffen, eines in Europa und eines hier, sagte er vor Journalisten in Washington. »Jetzt gibt es
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