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So nicht, Europa!

Titel: So nicht, Europa! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jochen Bittner
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doch wehe ihnen, sie lassen es zu! Der wirtschaftliche Aufschwung beschleunigt das Aufkommen einer gebildeten
     Mittelschicht, einer pluralistischen Infrastruktur sowie einer fein verästelten Zivilgesellschaft, die sich immer schwerer
     bevormunden lässt.« 14 Diese Logik gilt, das wissen Neo-Comms wie Song Zhe ganz genau, auch für China.
     
    Wie wird sich andererseits die »fein verästelte Zivilgesellschaft« Europas verhalten, wenn sie um Wachstum und den erreichten
     Wohlstand fürchten muss? Ist sie, um ja nichts vom materiellen Luxus zu verlieren, bereit, ein höheres Maß an politischer
     Bevormundungzu akzeptieren? Der moderne europäische Staat bezog seine Legitimität aus dem berühmten Hobbes’schen Tauschhandel: Schutz
     von oben gegen Mitbestimmung von unten. Was derzeit in Europa geschieht, erweckt den Eindruck, dass dieser Handel immer weniger
     aufgeht. Im Gegenteil: Mehr hoheitlicher Schutz scheint nur gegen weniger Mitsprache zu haben zu sein. Der Lissabon-Vertrag
     soll der EU erklärtermaßen helfen, sich als Wirtschaftsblock in der globalen Konkurrenz zu behaupten. Mit seiner Verabschiedung
     haben die Regierungen der EU nicht einfach nur einen weiteren Schritt in der Vergemeinschaftung von nationalstaatlicher Souveränität
     unternommen. Der Reformvertrag hat so viel Gesetzgebungsmacht auf eine nicht gewählte Elite von Beamten übertragen wie kein
     anderes völkerrechtliches Abkommen vor ihm. Das machtvolle suprastaatliche System, das in Brüssel gedeiht, ist, das zeigt
     das Management der Finanzkrise, mit althergebrachten Demokratielehren mittlerweile ebenso wenig beschreibbar geworden wie
     Chinas Selbstverständnis mit der Mao-Bibel.
     
    Botschafter Song geleitet hinaus aus dem Audienzsaal, auf den mit roten Lampions geschmückten Flur. Der Weg führt vorbei an
     einer Fotogalerie. Sie zeigt die chinesischen Staatschefs im Handschlag mit europäischen Spitzenvertretern. Das älteste Bild
     stammt aus dem Jahr 1975.   Der chinesische Premierminister Zhou Enlai erfreut sich eines entspannten Gespräches auf der Couch des Vizepräsidenten der
     E G-Kommission , Sir Christopher Soames. Es ist noch eine Schwarz-Weiß-Aufnahme. »Die Zeitgeschichte«, befindet Song, »bewegt sich sehr schnell.«
     Zum Abschied erzählt er noch eine Geschichte über das Lernen. »In China haben wir das Sprichwort, dass es unter drei Arbeitern
     bestimmt immer einen gibt, von dem man etwas lernen kann. In Europa scheinen viele zu denken, dass es unter drei Arbeitern
     bestimmt immer einen gibt, dem man noch etwas beibringen kann. Vielleicht ist diese Art des Herabschauens etwas typisch Europäisches.«
     Noch, sagt sein Lächeln. Noch.

Pingpong-Imperium Europa
    Um meine Grenzen zu verteidigen, bleibt mir nur der Weg, sie auszudehnen.
    Katharina die Große
     
    Die Länder Europas sind zu klein, um ihren Völkern den Wohlstand zu sichern, den die Voraussetzungen möglich machen und die
     folglich notwendig sind. Dazu braucht man viel größere Märkte.
    Jean Monnet
     
    Robert Cooper ist einer der gefragtesten Exzentriker Brüssels, ein drahtiger Brite mit buschigen Augenbrauen. Er fährt am
     liebsten mit dem Rad zur Arbeit und empfängt schon mal in kurzen Hosen zum Gespräch, wenn er noch keine Zeit hatte, sich umzuziehen.
     Sein Büro liegt in einem der oberen Stockwerke des Ratsgebäudes. Bücher stapeln sich auf dem lang gestreckten Besprechungstisch,
     unter den er die Füße mit den Sportschuhen ausstreckt. Cooper arbeitete als enger Berater von Tony Blair, bevor er nach Brüssel
     kam. Javier Solana, früher für die E U-Außenpolitik zuständig, spannte den gelehrigen Diplomaten als sein außenpolitisches Mastermind ein. Solanas Nachfolgerin Baroness Ashton
     übernahm ihn in ihren Stab. Cooper ist so etwas wie der Chef-Querdenker der Union. Er besitzt den Mut zum Konventionsbruch.
     Aber er setzt ihn stets mit Hintersinn ein.
    Bei einem anderen Treffen trägt Cooper eine bemerkenswert hässliche Krawatte. Sie zeigt bräunliche, verschachtelte Stadthäuser
     im Stil der Renaissancemalerei. Die Blicke seines Gegenübers registrierend, sagt Cooper: »Es hat einen Grund, warum ich sie
     trage!« Das Motiv, erklärt er, zeige die Pracht italienischer Stadtstaaten im 13. und 14.   Jahrhundert. Venedig, Genua und Florenz seien damals als Seehandelsmächte zu beispielloser Macht und Wohlstand aufgestiegen.
     »Das Problem war bloß, sie waren
zu
stark geworden. Ihre ständigen Kleinkriege schwächten

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