So nicht, Europa!
jährlichen Mitgliedsbeiträge.
Zu einer der prägenden Charakteristiken des Pingpong-Imperiums gehört das »Blame Game«, also die (un)sportlich betriebene
Schuldzuweisung. Unpopuläre Entscheidungen werden von Hauptstadtpolitikern gerne auf »Brüssel« abgeschoben, politische Siege
hingegen als eigene verbucht. Die Mitgliedstaaten stellen sich je nach Materie als Herr des europäischen Verfahrens oder als
Opfer von bürokratischer Willkür dar – je nachdem, was sich daheim leichter verstehen oder verkaufen lässt. Spuckt die EU
Regelungen aus, die offenkundig irrsinnig sind (beispielsweise eine Verordnung über die Sicherheit von Seilbahnen, die im
seilbahnfreien Hamburg umgesetzt werden muss), wettern Landespolitiker über den Regelungswahn der Brüsselaner. Dabei vergessen
sie geflissentlich, dass meist ihre eigenen Parteigenossen die Ermächtigung zu eben diesem Unsinn erteilt haben. Erhält eine
Gemeinde in Bayern hingegen E U-Zuschüsse für einen neuen Freizeitpark, rühmen sich die Regionalfürsten für ihr erfolgreiches Engagement zugunsten der ländlichen Entwicklung.
Ähnlichkeiten zur »Volks front von Judäa« sind nicht beabsichtigt, aber unvermeidbar. Über dieses Akzeptanz-Problem hinaus hat unser Pingpong-Imperium mit
zwei weiteren Mängeln zu kämpfen. Sie betreffen seine Macht und seine Bürgeridentität.
Problem Nummer 1: Die Grenzen der Macht
Im Unterschied zum klassischen Imperium ist der Sanktionskatalog der EU höchst eingeschränkt. Wie sehr eine Provinz das neue
Rom auch durch mangelnde Rechtstreue herausfordern mag – derZentrale fehlt letztlich die Möglichkeit, Gehorsam zu erzwingen. Der Pingpong-Charakter der E U-Herrschaft zeigt sich auch am so genannten Vertragsverletzungsverfahren gemäß Artikel 226 und 228 E G-Vertrag .
Ist die Kommission der Ansicht, dass ein Mitgliedstaat europäisches Recht nicht einhält (wie etwa Frankreich, als es pauschal
alle Roma ausweisen wollte), schickt sie ihm ein Mahnschreiben. Das passiert routinemäßig alle paar Monate und trifft jeden
Mitgliedstaat einmal. Auf diese Mahnung kann der Mitgliedstaat antworten, zum Beispiel damit, dass sich die Umsetzung einer
Richtlinie aus diesem und jenem Grund schwieriger gestaltet als gedacht. Auf diese Antwort hin muss die Kommission dem Mitgliedstaat
eine begründete Stellungnahme über die Art und Weise der Vertragsverletzung schicken. Daraufhin kann der Staat wiederum antworten.
Weigert er sich dann immer noch, das E U-Gesetz umzusetzen, landet die Sache beim Europäischen Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg. Der schickt als Erstes ein Mahnschreiben
an den Mitgliedstaat. Der darf wieder antworten. Irgendwann kommt es zum Verfahren und zum Urteil. Nach diesem ist freilich
ein weiteres Verfahren möglich, wieder Mahnschreiben, wieder Antworten … Ergeht schließlich ein Urteil, kann es mit einem Zwangsgeld gegen den säumigen Staat bewehrt sein. Es sei denn, dieser Staat
ist so mächtig, dass er die Sanktionsmechanik im Ministerrat ganz einfach aushebelt.
Deutschland und Frankreich haben dies 2003 getan. Beide Länder hatten zwei Jahre in Folge die Maastricht-Kriterien für den
Euro nicht erfüllt. Laut Regularium wären eigentlich Strafzahlungen fällig gewesen. Die Finanzminister aus Paris und Berlin
schafften es jedoch, ihre Kollegen in den anderen Ländern davon zu überzeugen, dass so etwas nie wieder vorkommen werde. Daraufhin
verzichtete der Rat auf Strafzahlungen – er legte die Kommission kurzerhand an die Leine. Die Regierungen in Europas Nationalstaaten
müssen sich für ihr Tun und Unterlassen letzten Endes vor ihrer Wahlbevölkerung rechtfertigen. Von ihren Kreuzen auf dem nächsten
Wahlzettel droht Unheil, nicht von einem Haufen Kommissionsbeamter mit erhobenen Zeigefingern. Das Römische Reich schickte
zur schnellen Intervention Heere in ungehorsame Provinzen. Wie viele Truppen hat Herr Barroso?
Ihre eigentliche Macht kann die EU ausüben, bevor ein Land sich ihr anschließt. »Das Paradoxe an der normativen Kraft derEuropäischen Union ist, dass sie von der Perspektive auf einen Beitritt abhängt, sich jedoch in den Augen vieler Kritiker
am Tag des Beitritts erschöpft«, schreibt der bulgarische Intellektuelle Ivan Krastev. Sobald die neuen Mitglieder im Club
angekommen sind, erschlafft oft ihr Reformeifer. Heißt das, dass die Union ihren Beitrittskandidaten, vor allem denen des
Balkans, nur endlose Verhandlungen und
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