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So nicht, Europa!

Titel: So nicht, Europa! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jochen Bittner
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die Europäer, die sich für eine »breite Agenda« der Welthandelsgespräche starkmachen. Sie wollen die
     neuen Märkte nur dann aufstreben lassen, wenn sie sich gleichzeitig an soziale und umweltrechtliche Standards binden. Ansonsten,
     fürchten vor allem Europas Sozialdemokraten, drohten Ausbeutung, Umweltzerstörung und globales Lohndumping. Die Unternehmen
     in den Aufsteigerländern werden sich aber nicht aufhalten lassen. Aus ihrer Sicht geht es um eine gleichmäßigere Verteilung
     des Wohlstands auf der Welt. Brasilien etwa möchte seinen Zuckerrohr-Zucker gegen den europäischen Zuckerrüben-Zucker konkurrieren
     lassen. Das Land klagte deshalb vor der Welthandelsorganisation in Genf gegen die E U-Praxis , überschüssigen Zucker mithilfe von Exportsubventionen zu vermarkten. Mit Erfolg. Die Verhinderung von Wettbewerbsverzerrung,
     welche die EU auf ihrem Kontinentmit Nachdruck betreibt, wird zum immer durchsetzungsstärkeren Prinzip auch zwischen den Kontinenten. »Brasilien ist ein wunderbares
     Land«, sagte im Frühjahr 2010 der Chef einer brasilianischen Zuckerrohrfirma, »in zehn Jahren haben wir Frankreich überholt,
     in vierzig Jahren haben wir ein Bruttosozialprodukt wie Deutschland.« 35
     
    Als Resultat solchen erfolgreichen Ehrgeizes verschwimmen die Grenzen zwischen europäischem Binnenmarkt und dem Weltmarkt
     immer mehr. Im Moment stimmt vielleicht das Bild noch, dass Länder, die auf den E U-Markt drängen, sich gleichsam in eine Dekompressionskammer begeben müssen, um sich dem atmosphärischen Druck Brüssels anzupassen. 36 Aber das wird nicht immer so bleiben. Durch den Wegfall von Grenzen und Handelsbarrieren gleichen sich die Druckverhältnisse
     überall auf dem Planeten an. Die Entwicklung, die Friedman und Fukuyama beschreiben, sah der deutsche Philosoph Karl Jaspers
     schon vor 50   Jahren voraus. »Man kann sagen: Es gab bisher noch keine Weltgeschichte, sondern nur ein Aggregrat von Lokalgeschichten«,
     schrieb Jaspers nach dem Zweiten Weltkrieg – und war selbst erstaunt ob der Einsicht: »Dann aber war unsere bisherige Geschichte
     gleichsam das Sichtreffen, das Sichversammeln der Menschen zur Aktion der Weltgeschichte, war der geistige und technische
     Erwerb der Ausrüstung zum Bestehen der Reise. Wir fangen gerade an.« 37
     
    Die Globalisierung, um es bildlich auszudrücken, hat nicht nur auf Nationalstaaten die Wirkung wie Kaffee, der auf ein Stück
     Würfelzucker fließt. Je stärker eine »Weltgesellschaft« im Werden ist, desto provinzieller und in Auflösung begriffen erscheint
     eine Idee wie »vereintes Europa«. Die Verschmelzungswirkungen der interdependenten Welt bekommt der alte Kontinent schon heute
     in dramatischer Weise zu spüren. Produktionsstätten werden nicht mehr innerhalb des Staatenblocks EU verlagert, also von Deutschland
     nach Rumänien oder von Großbritannien nach Polen, sondern aus ihm heraus, von Europa nach China oder Indien.
    Das Imperium EU hat keinen Konkurrenten neben sich, nur über sich. Am Ende kann sich auch die stärkste Wirtschaftsunion aller
     Zeiten aufgelöst finden infolge des steigenden Pegels internationaler Integration. Die globale Angleichung des Wohlstandsniveaus
     mag schmerzhaft sein für Europa. Sein Verdienst aber istihm nicht zu nehmen. Es war die Europäische Union mit ihrem Kooperationsmodell, die damit angefangen hat, das Leben für alle
     etwas süßer zu machen. Die Weisheit, zu der der spanische Reisende Mendoza in der Schlussszene von George Bernhard Shaws Drama
     ›Mensch und Übermensch‹ findet, ließe sich heute, im besten aller Sinne, dem europäischen Gründervater Jean Monnet zurufen:
     »Sir, es gibt zwei Tragödien im Leben. Die eine ist es, seinen Herzenswunsch zu verlieren. Die zweite ist es, ihn zu gewinnen.«

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    Der zweite Fehler: Weiches zu hart und Hartes zu weich
    1.   Weiches zu hart
    Im Bauch von Europa: das Brüsseler Parlament
    Ich brauche keine Opposition, weil ich bin bereits Demokrat.
    Gerhart Polt
     
    Ich habe manchmal den Eindruck, dass sich manche Kollegen mit zunehmender Verweildauer in diesem Hause immer weniger als Vertreter
     der Bürger im Parlament begreifen, sondern immer mehr als Vertreter des Parlaments gegenüber dem Bürger.
    Gerald Häfner, deutscher Europaabgeordneter (Grüne)
     
    Eine seltene Spannung liegt in der Luft an jenem Morgen im sogenannten Hémicycle. Das mächtige, blaugepolsterte Halbrund des
     Europäischen Parlaments ist nach der

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