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So nicht, Europa!

Titel: So nicht, Europa! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jochen Bittner
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könnte, so der der Vorschlag der Abgeordneten,
     dass »zum Beispiel Musiker hinter Vorhängen rekrutiert werden«). 41
    An einem Herbsttag 2008 lud die estnische Abgeordnete Marianne Mikko in den Pressesaal »Anna Politkowskaja« ein, benannt nach
     der ermordeten russischen Enthüllungsjournalistin. Mikko wollte einen Erfolg feiern, denn gerade hatte das Parlament mit 307
     zu 262   Stimmen ihren Bericht über »Gemeinnützige Bürger- und Alternativmedien in Europa« angenommen. Darin fordert die Sozialdemokratin
     eine »Diskussion« darüber, welcher Rechte und Pflichten Blogger haben sollten. Denn, so mahnte sie: »Worte können töten.«
     Um das zu verhindern, regt Mikko eine Diskussion über den »Status« von Weblogs an. In ihrer Resolution forderte sie eine Reflexion
     darüber, was Blogger eigentlich sind (Journalisten oder nicht?) – und welche Rechte und Pflichten für sie gelten sollten.
     Nun könnte man der Ansicht sein, diese Fragen seienlängst beantwortet. Natürlich sind Blogger Journalisten, wenn sie regelmäßig und mit dem Anspruch auf Information über das
     Weltgeschehen berichten. Ebenso natürlich sagt das noch nichts über die Qualität ihrer Arbeit aus. Davon abgesehen, gibt es
     längst Regeln in Europas Nationalstaaten, sogar solche, die die Freiheit des Wortes einschränken. Wer einen anderen beleidigt
     oder verleumdet, macht sich strafbar. Wer zur Gewalt aufruft, ebenso. Wer seine Informanten verrät, knipst sich als Journalist
     selbst aus. Und wer Unsinn berichtet, über den wird berichtet, dass er Unsinn berichtet. Wo genau also sah Frau Mikko einen
     Handlungsbedarf?
    »Ich rufe dazu auf, dass Blogger wie menschliche Wesen handeln«, antwortete die Estin zunehmend zerknirscht nach einigen kritischen
     Nachfragen. »Ich rufe zum Humanismus auf!« Das ist bestimmt nie verkehrt. Gleichwohl stellt sich die Frage, ob das Europaparlament
     nichts Dringenderes zu tun hat. Die Kommission nahm Mikkos Bericht dankend zur Kenntnis. Und die europäischen Regierungen
     werden sich voraussichtlich nie mit dem Thema beschäftigen. »Ich frage mich schon manchmal, wofür wir hier eigentlich unsere
     Arbeitskraft einsetzen«, erregt sich ein ungarischer Abgeordneter, »da schreibt man monatelang an Berichten, und die Kommission
     schmeißt sie anschließend in den Mülleimer.«
    Warum lässt das E U-Parlament nicht davon ab, einen großen Teil seiner Energie für Weltverbesserungstheater einzusetzen? Eine weitere erhellende Episode
     aus der Kategorie »Wünsch’ dir was« lässt die Antwort erahnen. Kurz vor der Eröffnung der Olympischen Spiele in Peking forderte
     Elmar Brok, der außenpolitische Koordinator der Europäischen Volkspartei (EVP), angesichts der »besorgniserregenden Situation
     in Tibet und angrenzenden chinesischen Provinzen«, die Olympischen Spiele in Zukunft nur noch in ihrem Mutterland Griechenland
     abzuhalten. Seit 1936, erinnert der CD U-Mann , würden die Spiele immer wieder zu propagandistischen Zwecken missbraucht. »Damit wäre dann ein für allemal Schluss.« Brok
     speiste die Initiative in eine Parlamentsdebatte über die Lage in Tibet ein. In ihr wurde noch mehr Klartext geredet. »Es
     ist eine Tatsache, dass China beim Minderheitenschutz und bei den Menschenrechten internationalen Standards nicht genügt«,
     sagte Broks Fraktionskollege Thomas Mann. »Daran hat leider auch die Vergabe der Olympischen Spiele nach Peking, anders als
     ursprünglich beabsichtigt, nichts geändert.« Was in Tibet geschehe, sei »kultureller Genozid«. Die Grünen schlugenvor, darüber nachzudenken, dass an der Eröffnungsfeier der Spiele weder europäische Staatschefs noch Athleten oder Journalisten
     teilnehmen sollten. Die Europäische Union sollte gar einen Boykott der Olympischen Spiele nicht ausschließen, forderte der
     SP D-Politiker Jo Leinen. Vergleichbar entschlossene und harsche Worte waren von den Parteigenossen in den nationalen Parlamenten oder Regierungen
     nicht zu hören. An der aufrichtigen Empörung der E U-Abgeordneten mag nun kein Zweifel bestehen. Zugleich aber wirken solche spitzen Töne aus Brüssel oder Straßburg oft ähnlich wohlfeil wie
     der Großteil der Resolutionen und Berichte, die das EP in die Welt sendet.
    Die gehobene Lautstärke in der Eurosphäre, kurzum, hat einen etwas traurigen Grund. Die Europaparlamentarier wissen, dass
     ihre Forderungen ohnehin verpuffen. Das Europäische Parlament ist nicht in der Lage, Druck auf irgendeine

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