So nicht, Europa!
Regierung auszuüben,
denn keine Regierung ist von seiner Unterstützung abhängig. Die Brüsseler Abgeordnetenversammlung fordert die Staatschefs
Europas auf, nicht nach China zu reisen? Man sieht die Premierminister, Präsidenten und Kanzler förmlich vor Respekt erstarren …
Für das EP ist es so einfach, als moralisches Schwergewicht aufzutreten, weil es ein politisches Leichtgewicht ist. Das personifizierte
Gewissen Europas, anders gesagt, ist deshalb so rein, weil es sich mit Taten gar nicht erst belasten kann. Der Wortdampf aus
dem europäischen Plenarsaal erinnert deshalb oftmals an ein Parfüm. Riecht gut und verflüchtigt sich schnell. Die Leichtigkeit,
mit der oft schwadroniert wird, habe, gibt der Pressesprecher einer großen Fraktion zu, auch damit zu tun, »dass oft wenig
Tiefenwissen vorhanden sei«. Anders als die meisten nationalen Parlamente verfüge das EP schließlich über keinen wissenschaftlichen
Dienst, der die Abgeordneten beraten könne. »Da kann es schon mal vorkommen, dass sie die Tragweite ihres Handels nicht erkennen.«
Wie man trotzdem Macht macht
Auf der anderen Seite existiert sehr wohl ein ernsthaftes und mächtiges Europaparlament. Viele E P-Abgeordnete nehmen – mit großem Sachverstand – nicht nur Einfluss auf den Gang der Integration. Zu beachtlichem Nutzen kann sich das
Parlament auch in die Außenpolitik einbringen. Dann nämlich, wenn es sich zur Hilfstruppe der nationalen Außenämter erklärt.
Gerade wenn es im konstruktiven Sinne die »Narrenfreiheit« nutzt, manches unverblümter und deutlicher zu sagen als nationale
Regierungsvertreter oder Diplomaten, kann das Europäische Parlament durchaus schmerzhafte Tritte austeilen.
Zum Beispiel an einem kalten Wintertag 2009. Seit kurzem war die russische Gaszufuhr Richtung Europa abgeklemmt. In Rumänien froren E U-Bürger . Im Sitzungssaal des Auswärtigen Ausschusses des E U-Parlaments drängten sich die Journalisten, denn eine Politikerdelegation aus der Ukraine hatte sich eingefunden. Verständnisheischend
lächelte der Regierungsvertreter aus Kiew in die Runde – und versuchte erwartungsgemäß (und nicht ganz glaubwürdig), die Schuld
an dem Lieferengpass allein Russland zuzuschieben. Dem deutschen Ausschussmitglied Alexander Graf Lambsdorff (FDP) platzte
daraufhin der Kragen. »Regelt das zwischen euch!«, entfuhr es ihm. »Wir wollen keine warmen Worte, wir wollen warme Wohnungen.
Also regelt das!« Der Ukrainer war sichtlich erschüttert. Unverstellt und ungefiltert hatte er plötzlich die geballte Empörung
Europas zu hören bekommen. Es dürften die klarsten Worte gewesen sein, die er von seinem Europatrip mit nach Hause nahm. Wenige
Tage später rauschte das Gas wieder. »Diskursive Diplomatie« nennt Lambsdorff die Methode – und die kann auch anderswo einiges
Gutes bewirken.
»Kara-kal-pak-stan«, buchstabiert Elisabeth Jeggle. »Karakal pakstan ist ein Non-Land rund um den Aralsee, wo die Kinder mit TBC auf die Welt kommen«, klärt sie auf. Jeggle sitzt in ihrem winzigen
Büro im turmartigen Straßburger Abgeordnetenhaus und bemüht sich, möglichst sachlich von ihrer letzten Reise zu berichten.
Noch nie, sagt die mütterlich wirkende Württembergerin, habe sie »so viele, so dünne Kinder« gesehen. Eigentlich ist die CD U-Abgeordnete aus der Nähe von Ulm Landwirtin. Doch neben ihrer Arbeit im Agrarausschuss kümmert sie sich noch um eine gedeihliche Zukunft
Zentralasiens.»Als ich dort ankam, habensie uns englische Willkommenslieder gesungen, einige haben sich an mich geklammert. Das hat mich so beeindruckt.« Jeggle reist
regelmäßig nach Usbekistan, Kasachstan, besichtigt ein Gefängnishospital, holt Praktikanten aus der Region in ihr Büro und
mahnt bei Außenministern die Menschenrechte an. Weil sie dies für strategisch wichtig hält für die Europäische Union.
»Die zentralasiatischen Länder fühlen sich zwischen Russland und China eingeklemmt. Sie gucken«, sagt Jeggle, »mit großen
Augen auf uns. Es hat Wirkung, was wir sagen. Das Sehnsuchtsziel der Menschen dort heißt nicht Amerika. Sondern Europa.« Mit
genauso großen Augen, gibt Jeggle zu, schauten sie ihre Wähler daheim im Württembergischen an, wenn sie ihnen ihre Reisegeschichten
auftischt. »Natürlich fragen die mich, ob ich keine anderen Probleme habe, für die ich Steuergelder verschwenden könnte. Aber
dann sage ich ganz offen: Ich will, dass es diesen Ländern
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