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So nicht, Europa!

Titel: So nicht, Europa! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jochen Bittner
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den Verantwortlichen
     ins Bewusstsein.
    Es geschah vor allem deswegen nichts in Europa, weil die Kommission das gewohnte Blame Game voraussah und lieber kampflos
     kapitulierte als sich gegen den liberalen Zeitgeist in den Hauptstädten zu stemmen. Warum hätte sie einen Gesetzesvorschlag
     einbringen sollen, wenn sie davon ausgehen musste, dass er ohnehin im Rat von den Mitgliedstaaten eingestampft würde? Umgekehrt
     raunte nach Ausbruch der Krise in Berlin manch ein Beamter, wie denn die Bundesregierung eine strengere europäischen Finanzaufsicht
     hätte vorantreiben soll, ohne dass es von der Kommission einen entsprechenden Gesetzesvorschlag gegeben habe?
    Diese letzteren Kritiker haben wohl etwas mehr recht. Es wäre sehr wohl die Aufgabe der Kommission gewesen, aggressiver für
     eine stärkere supranationale Finanzmarktaufsicht zu trommeln. Sie ist schließlich die Instanz mit dem weitesten Blickwinkel.
     Doch genau den eröffnete sie nicht. Barroso musste sich regelrecht zum Jagen tragen lassen. Erst einen Monat nach dem Schock
     der Lehman-Pleite, im Oktober 2008, versprach der Kommissionschef:»Die Kommission wird noch in dieser Woche einen Gesetzesvorschlag für eine europaweite Vereinbarung über Kreditgarantien vorlegen.«
     Plötzlich ging alles ganz schnell. Und doch zu spät.
     
    Europa, so sehen es Optimisten, brauche eben Krisen, um zu wachsen. In der Tat verfährt die E U-Kommission – vorausgesetzt, der Ernstfall ist erst einmal eingetreten – nach dem Motto, dass man sich keine gute Krise entgehen lassen
     darf. Nach dem 11.   September 2001 erkannte sie die Risiken unzureichenden Informationsaustausches zwischen seinen Polizeien und Geheimdiensten.
     Die Folge war eine Vertiefung der gemeinsamen Rechts- und Innenpolitik. Nach dem Irak-Krieg sah sie die Risiken der Abhängigkeit
     von einem fremden GP S-System . Die Folge war der Entschluss, Galileo aufzubauen, ein eigenes europäisches Satellitensystem.
    Doch welche Lehre zieht die EU aus der Finanzkrise?
    Eine war schnell gefunden. Sie ging allerdings weit über den europäischen Tellerrand hinaus. Als Reaktion auf den globalen
     Bankenkollaps trafen sich im November 2008 und April 2009 die zwanzig stärksten Industrienationen der Welt, die G20, zu zwei
     Weltfinanzgipfeln. Beim ersten Treffen, in Washington, einigten sie sich darauf, Rating-Agenturen künftig besser zu überwachen,
     Banken zu höheren Eigenkapitalpuffern zu verpflichten und den Schutz der Verbraucher durch transparentere Informationen zu
     verbessern. Beim zweiten Treffen, in London, beschlossen sie ein Programm zur Belebung der Weltkonjunktur und zur Bekämpfung
     von Steueroasen. Außerdem vereinbarten sie das Ziel, dass Managervergütungen nicht an kurzfristigen Kurssteigerungen, sondern
     am langfristigen Unternehmenserfolg orientiert sein sollen.
    All dies waren wertvolle Schritte. Doch sie lösten nicht einen europaspezifischen Konflikt, der schon bald seinen Höhepunkt
     erreichen sollte. Er lautet, wie die Staaten des Euro-Raumes es, erstens, mit der Währungsdisziplin halten. Und wie weit,
     zweitens, bei einem Ausbleiben dieser Disziplin, die Solidarität füreinander bemessen sein darf.
     
    Die gesamten Nullerjahre hindurch, also seit dem Jahr 2000, hatte Griechenland eine unverantwortliche Haushaltspolitik betrieben.
     Steuern wurden halbherzig bis gar nicht eingetrieben, der Beamtenapparat war in groteske Dimensionen aufgebläht, undStaatsdiener durften damit rechnen, mit Mitte 50 in vergoldete Ruhestände entlassen zu werden. 580   Berufe, listete die ›New York Times‹ auf, gälten in Griechenland als »gefahrgeneigt« und begründet einen Anspruch auf Pensionierung
     ab 50   Jahren. Zu den riskanten Professionen gehörten die Damenfriseure wegen des Umgangs mit Chemikalien ebenso wie der Blechbläser
     im Orchester, weil der sich durch die pneumatische Belastung einen Reflux zuziehen könnte. Das Defizit, das mit dieser Spendierfreude
     einherging, enthielt die Regierung in Athen der E U-Kommission vor. Im Jahr 2001 gab sie an, der Haushalt sei ausgeglichen. Tatsächlich lag er um fast vier Prozentpunkte im Minus. 2008
     behaupteten die Griechen, das Haushaltsdefizit betrage fünf Prozent. In Wahrheit waren es fast acht. Noch im Oktober 2009
     täuschte das griechische Statistikamt ESYE Brüssel über ein mehrere Milliarden Euro schweres Loch bei der staatlichen Krankenhausfinanzierung.
     Eine »vorsätzliche Meldung falscher Zahlen« sei das

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